Wenn man mich vor drei Tagen gefragt hätte, welches Buch meiner Meinung nach auf keinen Fall verfilmt werden sollte, hätte ich „Feuchtgebiete“ geantwortet. Zum einen, weil mir bereits beim Lesen einige Absätze zu derb waren, zum anderen weil mir für einen eineinhalbstündigen Film die Handlung im Buch fehlt. Abgesehen von der Offenheit mit Sexualität und dem Körper, die mich beeindruckt und zugleich schockiert hat, fehlte mir eine tiefgründige Geschichte. Der familiäre Hintergrund um das Scheidungskind Helen Memel wirkte mir nicht ausgereift genug und zu schlicht, wodurch er von den sogenannten „Ekelszenen“ immer weiter in den Hintergrund gerückt ist.
Als ich dann vom Kinostart erfuhr, überkam mich doch die Neugierde und ich sagte zu, mir den Film anzusehen. Ein Fehler, wie sich noch herausstellen sollte, denn bereits vor Kinostart öffnete sich ein ganz anderes Kino – mein Kopfkino. Wie eklig würde es wohl sein? Was wird wohl alles gezeigt? Warum wollte ich den Film nochmal sehen? Auch der Entschluss mir durch das Anschauen des Trailers die Angst zu nehmen schlägt fehl. Doch nun war es zu spät. Ich hatte zugesagt und die Karten waren reserviert. „Immerhin gibt es einen Gratissekt vorweg“, scherzte ich mit meinen allesamt feigen Freunden, von denen keiner mitkommen wollte.
Im Kino angekommen kaufe ich mir trotz im Trailer angekündigter Ekelszenen dann doch todesmutig eine Portion Popcorn. Zur Not könnte ich mir ja damit die Sicht verdecken. Doch schon während der ersten zehn Minuten werde ich ruhiger und stelle fest, dass meine Fantasie beim Lesen doch weitaus grausigere Bilder vor mein inneres Auge gezaubert hat, als sie im Film dargestellt werden. Vor allem Helen (Carla Juri) nimmt mich mit ihrer unkonventionellen Art schon in den ersten Sekunden gefangen. Die Mischung aus Rebellion, Offenheit auf der einen Seite, aber auch Einsamkeit und Identitätsfindung auf der anderen Seite, werden so überzeugend dargestellt, dass ich binnen kürzester Zeit gefesselt bin. Helen ist anders und genau das gefällt mir.

Helen (Carla Juri) pflegt einen offenen Umgang mit ihren Körperflüssigkeiten. (Copyright: Peter Hartwig / Majestic)
Den Personen aus dem Roman wird erst mit dem Film Leben eingehaucht. Der Regisseur David Wnendt fügt Elemente hinzu, die mir bei der Lektüre gefehlt haben und geht stärker auf Helens Persönlichkeit neben der Sexualität ein. Dadurch verbinden sich die losen Fäden und man bekommt einen besseren Einblick in Helens Charakter, fernab von Sperma, Hämorriden und dem ganzen Kram. Am Ende des Films bin ich restlos begeistert und kann ihn nur jedem weiterempfehlen, der von den ganzen weichgespülten Schweighöfer-Schweiger-Liebes-Familien-Komödien mal eine Abwechslung braucht und mal einen guten deutschen Film sehen möchte.