Den Bunker kenne ich bereits durch mein Studium an der Fachhochschule. Viele Nachmittage habe ich hier schon mit Kommilitonen in der Raucherlounge, im Café oder im Kino verbracht. Doch immer wieder überfällt mich das gleiche Gefühl, wenn ich diese geschichtsträchtigen Mauern betrete. Eine Mischung aus Unbehagen auf der einen und Geborgenheit auf der anderen Seite. So auch an diesem Dienstagnachmittag, an dem Anita Schwieger mich bat, bei den Vorbereitungen für ihre anstehende Ausstellung dort zu helfen.
Anita Schwieger hat lange in Kiel gelebt, ist jetzt aber wieder in Hamburg wohnhaft, wo sie aufgewachsen ist. Tätig ist sie als freiberufliche Künstlerin, Kursusleiterin und Auftragsmalerin. Das Besondere an ihren Bilder ist die sehr fotorealistische Darstellung von Lebensmitteln, meist in ungewöhnlich großen Formaten. Auch diese Ausstellung dreht sich um Lebensmittel unter dem Titel „Schwerpunkte“. Anders als auf vielen anderen Ausstellungen, soll nicht die schöne und dekorative Seite von Lebensmitteln gezeigt werden, sondern eine durchaus kritische.
Als ich ankomme, ist Anita mit zwei Helfern aus dem Bunker-Team dabei, Bilder in einem der zwei zur Verfügung stehenden Räume aufzuhängen. Gerade sind sie dabei, das Bild mit dem „Speckmantel“ und das dazugehörige Schnittmuster mit dem Titel „Flucht- und Rettungsplan“ aufzuhängen.
Als alle Bilder befestigt sind, zeigt mir Anita die Räumlichkeiten. Wir machen uns Gedanken, wo welche Bilder aufgehängt werden sollen, und verteilen sie an ihre späteren Plätze.
Noch sehen die Wände recht kahl aus. Kalter Beton und alte Hinweise wie „ Pst, Feind hört mit“ dominieren die Räume – als Ausstellungsort aber gerade deswegen sehr gut geeignet, findet die Künstlerin. Ein Bunker ist ein geschichtsträchtiges Gebäude, welches immer mit einer Zeit der Entbehrung und des Mangels in Verbindung steht. Hier können die farbenfrohen Bilder nicht nur den körperlichen, sondern auch den geistigen Hunger stillen.
Prompt werde ich in die Vorbereitungen miteinbezogen und mache mich daran, das Wurstmobile zu entwirren. Mobiles kennt man eher aus Kinderzimmern mit kindlichen, lustigen Motiven. Sie dienen dazu, Kinder zu beruhigen und sanft in den Schlaf zu begleiten. Aber ein Mobile aus Wurst? Während ich es entwirre, beantwortet Anita mir genau diese Frage. Auch Lebensmittel haben etwas Beruhigendes, Einlullendes an sich. Betrachtet man die Bilder, geht es hier viel um Gleichgewicht und auch um emotionales Gleichgewicht im übertragenen Sinne. So haben die einzelnen Wurstscheiben auch zwei Seiten: eine schlichte, wurstige und eine emotionale, die gleich durch die witzigen, verschiedenen Gesichter auffällt.
Als wir das Mobile entwirrt haben und ich einen ganz anderen Zugangspunkt zu diesem Objekt entwickelt habe, versucht die Künstlerin das Mobile auszutarieren. Gar nicht so einfach, das Gleichgewicht einzustellen.
Als nächstes hänge ich die Zwangsjacken aus ausrangierten Gastronomie-Tischdecken an eine Kleiderstange vor das Fenster im zweiten Raum. Anita scheint ein Multitalent zu sein. Malen kann sie und Nähen anscheinend auch. Lachend erklärt sie mir, dass sie beim Nähen Hilfe hatte: „Nähen ist nicht so meins, ich kann besser malen!“ Wenn man genauer hinsieht, kann man, wenn das Licht durchscheint, noch das Webmuster aus den alten Tischdecken erkennen. Bei den Zwangsjacken kommen mir sofort die Stichworte Magerwahn und Size Zero in den Sinn. Im Prinzip geht es auch darum, aber auch Tischmanieren und Essverhalten spielen in diese Idee in Bezug auf die Nahrungsaufnahme mit rein, erklärt mir die Künstlerin.
In diesem Ausstellungsraum werden nun auch die Bilder aus der „Trostbrot“-Reihe aufgehängt. Die Bilder sind unglaublich, nicht zuletzt, weil sie fast so groß sind wie ich. Auf ihnen sind unfassbar lecker aussehende, überdimensional große Toastvariationen abgebildet. Aber irgendwie wirken sie in der Größe auch schon fast wieder bedrohlich.
Mittlerweile habe ich echt Hunger und als Anita mir erzählt, dass sie die Brote zu Hause alle nachgebaut und fotografiert hat, läuft mir wirklich das Wasser im Mund zusammen. Neben Zwangsjacken und Trostbroten hängt in diesem Raum auch noch das „Wursticon“-Bild, welches auch auf dem Flyer zu sehen ist. Schnell wieder zurück an die Arbeit!
Zurück in dem anderen Raum entdecke ich noch etwas ganz Neues in einem kleinen, recht dunklen Raum. Nur eine Kiste ist beleuchtet. Ich schaue rein und plötzlich habe ich keinen Hunger mehr. Ich sehe drei große braune Platten mit Seilen drin mit dem vielversprechenden Titel „Tod durch Schokolade“. Ich kann es kaum glauben, dass das wirklich alles aus Schokolade besteht.
Insgesamt bin ich schon sehr begeistert von der Ausstellung. Die Bilder passen einfach großartig an die Wände und die Thematik der Ausstellung und das Gebäude ergänzen sich ebenfalls.
Ausstellung „Schwerpunkte“, 21.11. bis 19.12., Bunker D auf dem Fachhochschulgelände.