Alles nur geklaut?

Der Fund des Tages. Es bedarf noch viel Fantasie, um hier ein leckeres Abendessen zu erkennen. Dominik hat aber schon viele Ideen. Foto Tietgen

Es ist eiskalt. Kurz nach halb zehn. Obwohl der Kieler Supermarkt bereits um 21 Uhr schließt, brennt  in den hinteren Räumen noch Licht. Dominik (Name geändert) wartet rauchend hinter einer Mauer, bis das Licht ausgeschaltet wird. Dann geht er auf den Hinterhof, um den ersten Abfallcontainer zu durchsuchen. Ob aus politischen oder finanziellen Gründen: Immer mehr, vor allem junge Studenten, werden wieder zum Jäger und Sammler und suchen sich ihre Nahrung hinter statt im Supermarkt.

 „Containern „ oder „dumpstern“ bedeutet, die Mülltonnen der Supermärkte nach Lebensmitteln zu durchsuchen, die noch zum Verzehr, aber nicht mehr zum Verkauf geeignet sind. Zum Beispiel Lebensmittel, die bereits abgelaufen sind oder die Druckstellen haben. Auch wenn Mülltaucher oft freigesprochen werden, ist „Containern“ in Deutschland illegal. Zum einen ist der Müll bis zur Abholung Eigentum des Supermarktes, zum anderen ist das Betreten des Geländes, auf dem die Container stehen, Hausfriedensbruch.

Der 24-jährige Dominik „containert, seit er wieder Schüler ist. Anders als viele Mülltaucher, die mit dem „containern“ auf die Verschwendung von Lebensmitteln aufmerksam machen wollen, geht es ihm hauptsächlich darum zu Sparen. Durch das regelmäßige Durchsuchen der Supermarktmülltonnen muss er Brot, Milch und Getränke kaum noch einkaufen. Dominik tauscht sich auf einem sozialen Netzwerk über das „Containern“ aus. Hier werden Tipps gegeben. Erfahrene Mitglieder nehmen Interessierte mit, um ihnen die Grundlagen zu vermitteln. Viele seien aber lieber allein unterwegs, damit sie ihren Fund nicht teilen müssen, vermutet der Schüler.

 Ausgestattet mit Handschuhen, Taschenlampe und Seesack ergattert er am ersten Supermarkt drei Melonen, eine Gurke und eine Kiste Mandarinen. „Wenn eine Mandarine im Netz matschig ist, wird das gesamte Netz weggeworfen“, erklärt er, während er die Mandarinen mit seiner Taschenlampe untersucht. Eine Passantin wird auf Dominik aufmerksam, aber anstatt mit der Polizei zu drohen oder sich zu echauffieren, weist sie ihn lediglich auf den Bewegungsmelder hin. Er müsse nur ein Stück nach rechts gehen, dann ginge das Licht an und er bräuchte die Taschenlampe nicht mehr, rät sie ihm im Vorbeigehen.  Keine ungewöhnliche Reaktion laut Dominik. Der Großteil der Anwohner toleriert die Mülltaucher, viele finden es gut. Die wenigsten rufen die Polizei. 

Bereits eine Stunde ist Dominik nun schon unterwegs. Von dem nächsten Supermarkt verspricht er sich viel: „Donnerstags sortieren sie da immer aus. Von Fleisch über Joghurt bis Gemüse ist da alles dabei.“  Angst vor dem Verzehr der Lebensmittel habe er nicht. Er achte jedoch auf einige Grundregeln: keine aufgeblähten Verpackungen und kein graues Fleisch zum Beispiel. Spätestens die Geruchsprobe gibt Aufschluss über die Haltbarkeit. Vor allem in der kalten Jahreszeit könne man gut Fleisch und Wurstwaren bekommen, da diese durch die niedrigen Temperaturen nicht so leicht verderben.

Nach 30 Minuten Fußmarsch sind wir am zweiten Supermarkt angekommen. Da in den Büroräumen noch Licht brennt, warten wir. 20 eisige Minuten später gehen ein paar Lichter aus. Dominik legt los. Weil im Hinterzimmer noch ein Licht brennt, ist er dieses Mal leiser als am vorigen Container. Der Hinterhof ist völlig dunkel. Nur der Schein der Taschenlampe und das kleine Licht aus dem Hinterzimmer sind zu sehen. Ein Geräusch! Dominik duckt sich hinter den Mülltonnen und wartet ab. Die Luft scheint rein zu sein. Er macht weiter. Mühselig gräbt er sich durch die großen Abfallcontainer, um jeden einzelnen Müllsack zu untersuchen. Eine schmutzige Angelegenheit, denn neben den genießbaren Lebensmitteln befinden sich in den Mülltüten auch aufgeplatzte Saft- und Milchtüten und vergammeltes Obst. Es stinkt. Sein Ehrgeiz macht sich schnell bezahlt. Rinderfilets, Cocktailtomaten, Blumenkohl und sogar Tulpen für die Freundin kommen nach und nach zum Vorschein. Plötzlich scheint der Container viel mehr eine große Schatzkiste und weniger ein muffiges schwarzes Loch zu sein. Im Anschluss räumt Dominik die aufgerissenen Tüten wieder sorgfältig in die Tonnen ein. „Die Supermärkte wissen meistens, dass hier containert wird und tolerieren das. Da wäre es unsozial, hier Dreck zu hinterlassen“, erklärt er.

Nach zwei Stunden macht sich Dominik auf den Heimweg:  mit Lebensmitteln im Wert von mindestens 40 Euro.

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