Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich die Kunsthalle zu Kiel in meiner bisherigen Studienzeit noch kein einziges Mal besucht habe. Als Laie konnte ich bisher oft keinen Draht zur bildenden Kunst finden, denn zu oft wirkt so manches Kunstwerk auf mich eher wie ein Haufen Müll. Deshalb habe ich mir eine Studentin der Kunstgeschichte geschnappt und mich auf den Weg zur Kunsthalle gemacht – und dabei ein paar spannende Dinge erleben können.

Wieviel künstlerischer Wert befindet sich in zeitgenössischer Kunst? © Dan Perjovschi, Foto: Helmut Kunde
„Du warst noch nie in der Kunsthalle?“, entgegnet mir Constanze Groth völlig entsetzt, als wir uns treffen. Constanze studiert im 7. Semester Kunstgeschichte und ist regelmäßige Besucherin des Museums, das zur Universität gehört und das größte Museum Kiels ist. Daher wird sie mir heute die Ausstellung Netz. Vom Spinnen in der Kunst zeigen und mir ihre liebsten Kunstwerke vorstellen.
Bei Netz ist der Name Programm. Die ausgestellten Objekte behandeln auf die eine oder andere Weise das Thema „Netz“, seien es Spinnennetze, Netze als Funktionsgegenstand oder die globale Vernetzung. Die Sammlung umfasst vor allem gegenwärtige Installationen, also genau jene Art von Kunst, die mir oft zu abstrakt und unbegreiflich ist. Doch nun übernimmt Constanze das Steuer und führt mich direkt zu einem ihrer Lieblingswerke.
Jenny Michel: Das Paradies-Vehikel auf dem Weg ins Paradies, 2011
„Dieses Bild mag ich wegen seines Detailreichtums“, erklärt Constanze. Ihr gefallen Kunstwerke, in denen sich auch beim wiederholten Blick neue Eigenschaften finden lassen. Das „Paradies-Vehikel“ wirkt wie ein Lageplan, mehrere Schaltkreise überlagen sich, alles wirkt vermüllt. „Die Menschheit scheint ihr Erschaffenes durch immer weitere Innovationen zu überlagern“, schließt Constanze.
Barrett Lyon: The Opte Project, 2003
Wir stehen vor einer riesigen schwarzen Wand, auf der sich unzählbare Linien in verschiedenen Farben überkreuzen und somit ein großes, buntes Netz bilden. Auf den ersten Blick wirkt das Bild wie ein Feuerwerk. Tatsächlich handelt es sich dabei allerdings um eine digitale Virtualisierung: Der Künstler hat den Online-Datenverkehr eines Tages festgehalten. Die Farben stehen dabei für die verschiedenen Kontinente. „Das Interessante ist, dass dieses Bild viele Fragen aufwirft“, meint Constanze. Beispielsweise wird der Verlauf der Linien nicht ersichtlich. Auch eine Übertragung des Netzes auf die geografische Realität scheint unwahrscheinlich. „Noch bemerkenswerter wäre dieses Netz, wenn es aus echten Fäden gesponnen wäre“, bemerkt Constanze. Dies wäre aber vermutlich ein zu hoher Aufwand gewesen.
Julius Popp: bit.fall, 2001-2006
„Dieses Kunstwerk gefällt mir am besten“, verkündet Constanze, doch ich erkenne noch nicht, was an dieser Installation so toll sein soll. Aus vielen kleinen Öffnungen wird Wasser in bestimmten Abständen gepumpt, so dass das Wasser beim Fallen Wörter bildet. So weit, so gut, doch worin liegt der Reiz? „Schau mal genauer hin“, sagt Constanze. Ich lese die herunterfallenden Begriffe: Ebola, Hitler, Sex, Urteil, Lotto. Der Großteil der Begriffe wirkt düster und negativ belastet, fällt mir auf. „Das Wasser zeigt Schlagwörter aus den aktuellen Nachrichten an“, erklärt mir die Kunststudentin. Ein Algorithmus aktualisiert alle 15 Minuten die Wortauswahl und wählt dann neue Begriffe aus Internet-Nachrichtenplattformen aus. Dadurch wird deutlich, was für ein bedrückendes Bild die Nachrichten doch entwerfen. Unterstützt wird dieser Eindruck zusätzlich noch durch die Akustik der Installation, die in der gesamtem Ausstellungsgalerie zu vernehmen ist.
Mein erster Besuch in der Kieler Kunsthalle neigt sich dem Ende zu, und ich habe viele spannende, aber auch einige seltsame Kunstwerke bestaunen dürfen. Mein Bild von zeitgenössischer Kunst wird damit zumindest teilweise widerlegt. Vielleicht besuche ich beim nächsten Mal ja eine traditionellere Ausstellung. Seit dem 5. November ist der Eintritt für alle Studierenden der CAU frei. Einen Abstecher in die Kunsthalle sollte ich also auf jeden Fall mal wieder machen.