Wer kennt nicht die Bilder und Fantasien, die Weihnachtslieder entstehen lassen? Schneebedeckte Landschaften, Eisblumen am Fenster, warme Lichter und freundliche Menschen, dazu der Geruch nach Gebäck und Gewürzen kommen mir in den Sinn. In Liedern und Geschichten ist es einfach, traumhaft durch winterliche Landschaften zu reisen. Kann die Realität da mithalten?
Ich bin, wie jedes Jahr, für die Feiertage zu meiner Familie gefahren. Nach überstandender Reise drängte es sich mir auf, einige Vergleiche zwischen den märchenhaften Bildern und der Wirklichkeit anzustellen. Meine Reise begann an einem Morgen und mit jeder Menge Regen.
Bereits an diesem Punkt, war die Weihnachtsstimmung gedämpft, der volle Bus zum Bahnhof verbesserte meine Gemütslage nicht. Mit leichter Verspätung, aber noch rechtzeitig, betrat ich meinen Zug. Nur um festzustellen, dass sich die Abfahrt verzögern wird. Anscheinend gab es einen technischen Fehler. Ich saß glücklicherweise, denn das Abteil war voll, jetzt aber auf meinem Platz. Und die Vorfreude machte sich wieder breit. Außerdem hatte der Regen eine Pause eingelegt. Die Zugfahrt wurde noch durch einen passablen Akkordeonspieler aufgelockert, die Weihnachtsfreude war wieder auf dem Vormarsch. Meine Strecke brachte mehrfaches Umsteigen mit sich und führte über Lübeck. Dort, mit dezenter Verspätung, angekommen, stellte ich erfreut fest, dass der Bahnhof nicht überfüllt war.
Die Menschen entsprachen aber auch nicht meinen winterlichen Fantasien: Alle waren gestresst, hatten es eilig und niemand lächelte. Ich hatte es allerdings ebenfalls eilig und werde dabei kaum fröhlich ausgesehen haben. Das typische Gedrängel. Der schönste Teil der Fahrt stand mir bevor. Es regnete nicht, und zwischen den Wolken zeigte sich hin und wieder die Sonne. Die reizvolle Flachlandschaft des Nordens wurde zwar nicht in Schnee, aber in abendliches Sonnenlicht getaucht. Über die Erwartungen an winterliche Romantik sinnierend, stellte ich fest, dass Landschaften die ich schon oft gesehen habe, immer noch einen Reiz haben. Auch ohne Schnee, Schlitten, Rentiere und Glockenläuten. Abendstimmung, Vorfreude und hin und wieder ein Hirsch neben der Bahnstrecke vermochten mich auch in Festtagsstimmung zu versetzten.
Und auch wenn der Rest der Reise Verspätungen, verpasste Anschlusszüge und Warten im Regen mit sich brachten, lernte ich doch eine Lektion: Weihnachtsstimmung ist eine Frage der Erwartungshaltung. Lieder und Märchen überhöhen den Winter auf magische Art, dem ist schwer gerecht zu werden. Wenn ich aber einfach freundlich zu meinen Mitreisenden bin und die Augen offen halte, erlebe ich trotzdem tolle Momente. Nicht auf dem Kutschbock oder in verschneiten Gassen zwischen Fachwerkhäusern, sondern auf Bahnsteigen und in Zugabteilen. Weihnachten bleibt eine Sache des Herzens und der richtigen Einstellung.
Ich wünsche euch schöne Erfahrungen und eine frohe Weihnachtszeit. Waggontür wird auch in keinem Weihnachtslied besungen – an der habe ich aber einen schönen Platz…