
Dr. Wendy Vanselow ist am Institut für Skandinavistik, Frisistik und Allgemeine Sprachwissenschaft (ISFAS) der CAU Kiel tätig. Sie forscht und lehrt als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Frisistik mit Schwerpunkt auf der nordfriesischen Literatur.
Sölring, Halunder, Wiedingharder Friesisch, Fering und Öömrang? Das sind nur Teile des gesamten Dialektpuzzles der Friesischen Sprache. Dass es Friesisch gibt, war mir immer bewusst, doch lag für mich immer ein Schleier über dem Ganzen. Wo sprechen die Leute denn überhaupt Friesisch, wenn selbst der eigene Mitbewohner von Nordstrand Plattdeutsch schnackt? Für den KN-collegeBlog traf ich mich mit Frau Dr. Wendy Vanselow, um meine Fragezeichen aufzulösen.
Frau Vanselow, wo sprechen die Menschen in Deutschland bzw. in den Niederlanden noch Friesisch? Gibt es aktuelle Zahlen?
Es gibt nicht nur in Deutschland Friesisch, sondern auch in den Niederlanden. Westfriesisch nennen wir das. Das sind so knapp 400.000 Sprecher. An der Grenze zu Ostfriesland liegt das Saterland, das sind drei Dörfer, in denen noch das Saterfriesische gesprochen wird. Die Sprecherzahl schätzt man auf höchstens 2000. In Nordfriesland sind die Kerngebiete Föhr und auf dem Festland die Gegend um Risum-Lindholm. Hier spricht man noch relativ viel Nordfriesisch. In den allermeisten anderen Gegenden Nordfrieslands eher weniger bzw. gar nicht mehr. Es gibt keine aktuellen Zahlen, aber man schätzt, dass heutzutage etwa 8000-10.000 Nordfriesisch sprechen.
Wo wurde es früher verstärkter gesprochen?
Im Mittelalter war die Vorform der heutigen friesischen Sprachen entlang der Nordseeküste noch weit verbreitet. Das Siedlungsgebiet reichte zu Hochzeiten vom Sincfal in den Niederlanden bis fast hoch zur Elbe. Aber das ist ja schon länger her. Aus dieser Gegend kommen ursprünglich auch die Nordfriesen. Man sagt, sie seien in zwei Einwanderungswellen, erst im 8. und dann im 11. Jahrhundert, nach Nordfriesland gekommen. Entsprechend hat sich dort die Sprache anders entwickelt. Damals war das Gebiet, in dem Nordfriesisch gesprochen wurde, größer als heute. Es wurde zum Beispiel auch auf der Insel Alt-Nordstrand Friesisch gesprochen, doch diese Insel wurde in der sogenannten Zweiten Großen Mandränke von 1634 völlig zerstört, übrig blieben unter anderem Pellworm und Nordstrand. Viele Überlebende verließen daraufhin Nordstrand, und das alte Strander Friesisch starb aus bzw. überlebte nur in Resten – deswegen spricht der Mitbewohner heutzutage kein Friesisch mehr.
Man kann beim Nordfriesischen auch nicht von einem Friesisch sprechen, sondern es gibt verschiedene Dialekte, ursprünglich zehn. Das macht es für einen Studenten nicht so leicht, denn er oder sie muss mindestens zwei verschiedene Dialekte lernen. Das nordfriesische Sprachgebiet an sich ist zusammengeschrumpft. In Gegenden wie Eiderstedt wird es gar nicht mehr gesprochen, u.a. auf den Halligen, auf Helgoland oder Sylt ist die Sprecherzahl stark zurückgegangen.
In welchen Bildungseinrichtungen wird Friesisch heutzutage gelehrt?
An den Universitäten Kiel und Flensburg, in Flensburg im Rahmen des Lehramtsstudiums und in Kiel auch als Vollstudium Bachelor/Master. In Nordfriesland gibt es Angebote von Volkshochschulen und an einigen Schulen auch Friesischunterricht. Wenn man Nordfriesisch lernen will, kann man das also an einigen Stellen in Schleswig-Holstein tun.
Und außerhalb Schleswig-Holsteins?
In den Niederlanden gibt es an den Universitäten von Groningen, Amsterdam und Leiden friesische Lehrstühle. Es gab auch in Oldenburg Ostfriesisch, also Saterfriesisch, eine Arbeitsstelle für Plattdeutsch und Saterfriesisch. Diese ist nicht mehr weitergeführt worden, weil der Professor emeritiert wurde. Saterfriesisch wird dort dennoch in Sprachkursen gelehrt und im Germanistikstudium berücksichtigt. Es gibt auch Internetprogramme oder Internetseiten, mit denen man Friesisch lernen kann, wie edufrysk oder edunordfriisk.
An der CAU Kiel wird ja das Vollstudium Bachelor/Master angeboten. Welche Perspektiven und Möglichkeiten kann dieses Studium neben universitärer Forschung bzw. Lehramt bieten?
Wir haben ganz viele ehemalige Studenten, die jetzt in der „friesischen Szene“ arbeiten – zum Beispiel als Übersetzer oder im Nordfriisk Institut in Bredstedt. Dann in den Medien: Es gibt ein paar, die beim NDR gelandet sind oder auch beim WDR. Der NDR sucht ganz aktiv unsere Studenten auf und bietet ihnen Praktika an, weil sie die dort für die friesischen Beiträge brauchen. Ansonsten gibt es in den friesischen Vereinen viel zu tun. Einige sind Politiker oder Journalisten geworden. Oder etwas ganz anderes. Eigentlich ist es genau wie in anderen philologischen Studiengängen: Man wird nicht für einen speziellen Beruf ausgebildet, sondern muss sich seine Nische suchen.
Wie viele Studierende gibt es dann pro Jahrgang ungefähr?
Also das ist sehr unterschiedlich. Dieser Jahrgang ist sehr klein. Wir haben jetzt drei neue Bachelorstudierende. In den letzten Jahren waren es eher 13-14. Das ist für uns schon eine gute Zahl. Als ich damals angefangen habe, war ich ganz alleine.
Und was begeistert Sie selber an der Friesischen Sprache? Sind Sie Muttersprachlerin?
Ich komme gar nicht aus Nordfriesland, sondern aus dem Kreis Segeberg. In Kiel wollte ich mein Magisterstudium beginnen und dann eigentlich etwas anderes im Nebenfach studieren, aber dann hieß es, dass ich mich dafür hätte bewerben müssen und dann habe ich Friesisch genommen, weil es sich so nett anhörte. Und dann war es auch so nett, die Gruppen sind klein, und besonders gut ist, dass man zum Beispiel auf Exkursionen nah an den „Gegenstand“ herankommt, selbst viel Neues erforschen kann und schnell den Kontakt zu vielen anderen Frisisten aufbaut.
Kennen Sie dann mehrere Mundarten?
Ja, also ich selber spreche die Mundart von Amrum, aber ich kann die anderen auch alle verstehen, auch das West-und Saterfriesische. Im Studium muss man mindestens zwei Dialekte lernen und im Master dann auch noch das Westfriesische. Man lernt also relativ viele Sprachen im Vergleich etwa zu einem Englischstudium.
Klassische Frage: Welche Gesamttendenz können wir in den nächsten Jahren beim Friesischen erwarten? Eine ähnliche Entwicklung wie im Niederdeutschen?
Meinem Empfinden nach gibt es wie im Plattdeutschen eine Art Renaissance. Unter den Friesen sind relativ viele, die sich sehr bewusst darüber sind, dass ihre Sprache gefährdet ist und ganz absichtlich mit ihren Kindern Friesisch sprechen und sich ehrenamtlich engagieren. Auch hierbei gibt es zwei Hauptkerngebiete, Föhr und die Ecke Risum-Lindholm usw., dort ist Friesisch noch sehr vital. Es gibt auch die Entwicklung, dass angeheiratete Partner Friesisch lernen, damit sie später ihre Kinder wenigstens verstehen. Ich glaube, wirklich aussterben wird es in naher Zukunft nicht, aber weniger vielfältig sein. Es wird sich wahrscheinlich irgendwann auf die zwei Kerngebiete beschränken.
Wie kann besonders Schleswig-Holstein hier sprachpolitisch eingreifen?
Schleswig-Holstein hat die Charta der Regional- und Minderheitensprachen unterschrieben und sich dafür ausgesprochen, diese zu schützen. Wichtig ist etwa, dass institutionelle Strukturen erhalten bleiben und finanziert werden, dass es Friesischunterricht an den Schulen gibt, dass man in Kiel, Flensburg und Bredstedt nicht kürzt. In Hinblick darauf ist die jetzige Regierung einigermaßen positiv zu bewerten. Mit Renate Schnack haben wir zum Beispiel eine sehr engagierte Minderheitenbeauftragte. In Flensburg wird derzeit eine neue Minderheitenprofessur eingerichtet. Also in Schleswig-Holstein kann man im Moment wenig meckern. Ich bin selbst auch froh, an der Uni sein zu dürfen.
Ich danke Ihnen für das tolle Interview, Frau Vanselow!
Wer noch einige Informationen über das Friesischstudium an der CAU Kiel sammeln möchte, der kann folgenden Link besuchen:
Pingback: Letzte Tickets für die CAU – Ein Ratgeber | KN-collegeBlog
Hatte ehrlich gesagt noch nie was von Frisistik gehört, aber finde es toll, dass solche Studiengänge an der Uni existieren.