Das Jahr 2015 ist vorüber und wir blicken zurück auf ein Jahr, welches auf die Flüchtlingskrise bezogen, die europäischen Werte auf den Prüfstand stellte und immer noch stellt. Auch an der Uni und im Privaten haben sich einige ehrenamtlich engagiert. Während viele Medien uns fast jeden Tag mit neuen „Pegida-Artikeln“ zuschütteten, wurde die Diskussion in universitären Kreisen zumeinst anders geführt als bei nur kurzzeitig relevanten, weniger emotionalen Themenkomplexen. Wirklich neutral über Flüchtlinge zu sprechen, gelang es mir hier tatsächlich nur im Kontakt mit ausländischen Studenten. Wie mich dies zum Nachdenken brachte und meinen eigenen Blick von einer schnell gewählten Argumentationsstrategie entfernte, möchte ich euch nun in komprimierter Art und Weise näherbringen.
Es ist mitten in der Nacht, ein Tag vor Weihnachten. Ich scrolle in meinem Facebookverlauf zwischen angeblichen Lebensweisheiten, die so simpel sind, dass sie auch der schlichte Geist in sein Innerstes passieren lassen kann, hin und her. Mittendrin ein paar, der in den letzten Jahren viel zu viel gelesenen Zeitungsartikel über Pegida: „Es ist der Hass entsprungen“ (Zeit/22.Dezember), „Ode an die Freude – Tausende demonstrieren in Dresden gegen Pegida“ (Die Welt/22.Dezember) oder aber auch „Der Exodus und wir – Grenzen der Einwanderung“ (FAZ/22.Dezember).
Ich habe aufgehört, die Artikel zu lesen, ich überfliege sie zeilenweise oder schaue mir wie ein Vorschulkind die Bilder an, weil die Essenz des Geschriebenen meist das zum tausendsten Mal Reproduzierte oder berichtartig gar keine Essenz zum echten Nachdenken enthält.
Im Jahresverlauf sind die Themen Flüchtlingskrise und Pegida in den Universitätskreisen weiter besprochen und erörtert worden – klar wir sind ja Studenten, da gehört es zum guten Ton, auch ein politisches Statement abzugeben. Aber irgendetwas stimmt bei diesem Thema nicht. Während Diskussionen und Verknüpfungen von Studieninhalten oder wissenschaftliche Zusammenhänge sonst gerne zur Selbstpräsentation genutzt werden, verhält es sich beim Thema Bürgerbewegung Pegida anders. Meist kurze, ironisierte Sätze versuchen die Gesprächsatmosphäre in eine andere Richtung zu lenken – auch wenn man sich kurzzeitig noch einig werden will, dass der sich an Pegida beteiligende „Wutbürger“ wohl einfach frustriert oder gar dumm ist. Wenn sich Gespräche dann doch mal weiterentwickeln, geraten sie meist zu einer Mischung zwischen Empörung und Entsetzen über die Aktivität und große Teilnehmerzahl der Bewegung.

Es gibt weit mehr als eine Ursache
Irgendwie wird man sich weniger in der direkten Kommunikation, sondern eher über vermeintliche Aktivität und Hilfe in teilzeitagendafreudigen Organisationen studentischen Milieus einig, man müsse etwas für die Flüchtlinge tun – am besten noch mehr… Also stellen wir mal ’ne Spendenbox auf und haben unsere moralische Verpflichtung erfüllt. Wie geil wir doch sind.
Was denken wir über Pegida?
Was mich stört, ist nicht die Einstellung der meisten zu dieser Thematik oder der beschränkte Aktionismus, sondern das eingeschränkte Vermögen, den Kopf zum substantiellen Denken anzuregen. In anderen Worten: Der sich konform verhalten wollende Student gegenüber der Fähigkeit zur historisch objektiven Aufnahme des Momentums. Ich könnte nun über begründete einseitige Berichterstattung der Massenmedien klagen, aber das ist – gerade weil sich in einer Diskussion zwischen zwei Menschen, die ihren Standpunkt verteidigen, meist beide Seiten von der Presse chronisch benachteiligt fühlen – wohl kaum zielführend. Einem sprachlich kurzen Urteil, geht meist eine im Inneren längst feststehende Bewertung voraus. Aber woher kommt diese?
Kann es sein, dass hier zwar ein Ereignis unabhänig passiert, aber die Reaktion darauf aufgrund des Themenkomplexes längst feststeht? Das Geschehen zu lassen ist einfach und macht dem eigenen Selbstbewusstsein Spaß, führt jedoch nicht zu einer Erweiterung des eigenen Horizonts.
Schockiert sind die politischen Parteien laut der FAZ (22.Dezember), dass eine Bürgerbewegung so schnell eine so große Masse an Menschen mobilisieren konnte, was ihnen selbst seit Jahren nicht mehr gelingt, egal welchem Thema sie sich widmen.
Das weit verbreitete Urteil in den Medien: Die Teilnehmer der Pegida-Veranstaltungen haben angeblich Angst. Angst vor dem Fremden, Angst vor Kulturverlust, Angst vor einem „Asylschwamm“ und Angst lasse Menschen nicht nachvollziehbare Dinge tun. Ich glaube nicht, dass Angst die Triebkraft von Pegida ist (vielleicht ist es Trotz, vielleicht Revolte, vielleicht ein verzweifeltes Aufbäumen der Konservativen). Ich sehe die Angst eher bei denen, welche die Pegida-Bewegung inhaltlich und emotional weder nachvollziehen können noch wollen und sich zu einer schnellen Bewertung hinreißen lassen. Was ist dem „Deutschen“ fremder? Ein Ausländer, der sich vermeintlich anders als er selbst verhält, oder die Entscheidung vieler Menschen des eigenen Landes für etwas dem althergebrachten Gedankengang plötzlich Unbekanntes.
Was mich angeht, kann ich mich zum Thema Flüchtlingszustrom mit meinen syrischen, pakistanischen sowie iranischen Mitbewohnern im Studentenwohnheim am besten unterhalten. Einige von ihnen sind sogar selbst erst vor nicht allzu kurzer Zeit nach Deutschland gekommen. Das große Paradoxon in diesen Gesprächen ist, dass mir dabei immer wieder die Frage gestellt wird: „Warum toleriert man in Deutschland eigentlich so viele Flüchtlinge? Die Regierung und Sicherheitsapparate wissen doch gar nicht mehr, wer wirklich in das Land gekommen ist. Ich würde das an eurer Stelle viel strenger kontrollieren.“
Häufig weise ich dann auf gemeinsame europäische Werte wie Freizügigkeit und Persönlichkeitsrechte hin, die einem bei der eben gerade nicht gemeinsam europäisch gelingenden Verteilung als Argument im Halse stecken bleiben.
Letztendlich steht jedoch: Je mehr wir in den Medien über Pegida lesen oder uns durch Einzelschicksalsberichte einer eigenen moralischen Pflicht ausgesetzt sehen, desto mehr freiweillige Flüchtlingshelfer generieren wir. Serdar Somuncu brachte diese Haltung vor wenigen Jahren in seinem „demagogischen Blindtest“ einmal auf den Punkt: „Das einzige, was sie (gemeint sind die deutschen Bürger) dann als Kompensat für ihr schlechtes Gewissen entdecken, ist diese ,Über-Toleranz‘ […] sie differenzieren nicht, sie reflektieren nicht.“ Was die nächste Frage aufwirft, wem gegenüber wir uns eigentlich tolerant – ich schreibe bewusst – „machen“ wollen.

Einfach mal versuchen – der Schlüssel passt von beiden Seiten
Vielleicht sollten wir uns als Vorsatz für das neue Jahr nicht nur weitere materialistische oder selbstverbessernde Ziele stecken, sondern uns fragen, woher das innere Bedürfnis kommt, die Ziele unbedingt erreichen zu müssen, um dabei herauszufinden, ob wir nicht selbst längst einschlägigen, uns selbst befriedigenden Denkweisen zum Opfer gefallen sind. Versuchen wir uns doch selbst ein wenig freier zu machen, um zu wissen, wer wir als Individuum sind. In diesem Sinne ein frohes neues Jahr 2016!
Der Umkehrschluss wäre demnach, dass der Antagonist der Übertoleranz Pegida/Asylkritik heißt. Da sollten sich Funk, Fernsehen und Zeitung gehörig zügeln, wenn es tatsächlich so sein sollte, dass durch übermäßige Flüchtlingslobhudelei im gleichen Maße prozentual eine Gegenbewegung entsteht.