Blindes Vertrauen

Blind Skifahren – das geht? Diese Frage habe ich mir auch gestellt, als ich zum ersten Mal vom Projekt Snow&Eyes hörte. Das geht, beweist der Sportverein Sportsgeist e.V., eine Zusammenarbeit des Institut für Sportwissenschaft der CAU und der Skischule Kiel und veranstaltete diesen Winter nun schon zum dritten Mal erfolgreich eine Skifahrt für Blinde und Sehbehinderte. Im schönen, verschneiten Hemsedal in Norwegen durften fortgeschrittene Teilnehmer sich auf blauen, roten und schwarzen Pisten beweisen und Anfänger konnten ihre ersten Abfahrten meistern. Ich war Ende Februar zum zweiten Mal als Guide dabei und wieder beeindruckt davon, was mit einer Sehbehinderung alles möglich ist. Meine Eindrücke bei Snow&Eyes und wie blind Skilaufen funktionieren kann, lest ihr hier.

Die Color Line kurz vor Oslo

Die Color Line kurz vor Oslo, Photo: Günther Riesinger

Sonntag, der 28. Februar. Nachmittags auf der Color Line auf dem Weg nach Oslo: Unsere kleine Gruppe von einundzwanzig Leuten hat sich im Café eingefunden. Acht Blinde oder Sehbehinderte Teilnehmer sind dieses Jahr dabei, fünf Betreuer, sowie acht Guides für die Skipiste. Nach der Begrüßung finden sich die ersten Zweier-Pärchen: Jeweils bestehend aus einem Teilnehmer und einem Guide. Manche Konstellationen sind neu, doch viele kennen sich zumindest flüchtig aus dem letzten Jahr, daher ist die Atmosphäre entspannt und voller Vorfreude – in jeder Ecke wird sich angeregt unterhalten. Man bringt sich auf den neuesten Stand und tauscht Erfahrungen der vorherigen Fahrt und Erwartungen an die kommende Woche aus. Auch ich war im letzten Jahr dabei und konnte direkt nach der Fortbildung zum Blinden-Skiguide mit Dieter aus Augsburg die Pisten unsicher machen. Daher freut es mich umso mehr, dass er dieses Jahr wieder dabei ist und wir wieder zusammen fahren werden!

Montag, der 29. Februar:

Photo: Günther Riesinger

Photo: Günther Riesinger

Um zehn Uhr morgens legen wir in Oslo an, drei Stunden später sind wir alle heile im Skigebiet Hemsedal angekommen. Hier treffen wir auf Gerd Wrobel und Günther Riesinger, die das Projekt Snow&Eyes zusammen mit dem Institut für Sportwissenschaft der CAU ins Leben gerufen haben und während der Fahrt Skiunterricht in Kleingruppen geben werden. Die Hütten werden bezogen, es schneit und schneit und ich bin gespannt auf den morgigen Tag.

Dienstag, der 1. März: Heute ist der erste gemeinsame Skitag. Wir treffen uns morgens pünktlich um zehn, doch bevor es losgehen kann, muss noch schnell die Technik überprüft werden: Einige Guides voll-blinder Teilnehmer tragen Lautsprecher; der Teilnehmer fährt dann auf der Piste den abgesprochenen Signalen, die der Guide gibt, hinterher. Dieter und ich sind per Funk verbunden und unsere Funkgeräte brauchen heute morgen es eine kleine Zeit, bis die Verbindung stimmt.

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Verständigung beim Liften: „Alles klar,der Liftausstieg geht nach rechts!“

 

Beim Guiden kommt dann alles auf die Absprache an. So gibt es einige festgelegte Signalwörter, bei denen Teilnehmer und Guide wissen was gemeint ist: „Geht“ steht für: Geradeaus weiter fahren, die Bahn ist frei! Kurven sagt der Guide mit „Und hopp“ an; die Richtung muss dabei nur für den ersten Schwung festgelegt werden, danach geht es abwechselnd links und rechts um die Kurve oder der Blinde orientiert bei der Richtung an der Stimme aus dem Lautsprecher. Bei „Und halt“ hält man (überraschenderweise) an, „Stopp!“ ist die Notbremse. Alles weitere wird individuell abgesprochen. Je länger man schon als Team fährt, desto eingespielter wird man und kann dementsprechend schneller und mit weniger Unterbrechungen Skifahren. Insgesamt bin ich wieder beeindruckt wieviel Vertrauen uns Guides entgegengebracht wird, ich hätte wahrscheinlich mehr Schwierigkeiten mich einem anderem Menschen so anzuvertrauen.

Da wir im letzten Jahr schon zusammen üben durften, klappt die Absprache bei mir und Dieter dieses Mal von Anfang an recht gut. Wir probieren einige neue Pisten aus und fahren mal nur zu zweit, aber oft auch in Kleingruppen. Ab und zu gibt es außerdem nützliche Tipps und Übungen vom Skilehrer Günther,
Eine Schwierigkeit dieses Jahr ist der viele Schnee: Bei viel Betrieb auf den Pisten, schiebt sich der Schnee zu kleineren oder auch mal größeren Haufen auf, die einem Wenig-, oder Nicht-Sehenden ganz schön zu arbeiten geben. Dazu schneit es auch tagsüber fast ununterbrochen, sodass manchmal auch für die Guides die Sicht mittelmäßig wird. Da habe ich mich auch direkt völlig in der Piste geirrt und verfahren! Aber natürlich lassen wir uns davon nicht unterkriegen 😉

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Skigruppe Knut, Iris und Dieter (v.l.) oben auf dem Tinden (1444m)

Am späten Nachmittag geht es dann geschafft zurück in die gemütlichen Hütten (ausgestattet mit Sauna – das hilft den Muskelkater für den nächsten Tag vorzubeugen!). Dieses Jahr gefällt mir besonders die familiäre Atmosphäre. Das liegt vielleicht an der relativ kleinen Gruppe oder einfach an den netten Leuten. Auch abseits der Skipiste lernt man sich in der Mittagspause oder bei abendlichen Hüttenbesuchen und Spieleabenden besser kennen. Der letzte Skitag birgt dann noch einmal ein Highlight: Die Abschlussrallye im Schnee mit abschließendem Lagerfeuer vor den Hütten. Die letzte Aufgabe der Rallye – einen Raptext zu schreiben, in dem die Wörter: „Sauna“, „Günther“, „Color Line“, „Käsemauken“, „Neuschnee“ und „Kater“ vorkommen – wird mit Bravour gelöst.

Auf der Rückfahrt auf der Color Line gucke ich zum allerersten Mal den „Tatort“ mit Audiodeskription. Für eine Weile schließe ich die Augen und stelle mir vor, wie es wäre nichts zu sehen: Ich müsste noch vieles Lernen, wie zum Beispiel manchmal auf meine Menschen vertrauen zu müssen. Oder besser Stimmen auseinanderhalten lernen, um zu wissen, wer dort nun gerade im Tatort spricht. Ganz bestimmt würden auch noch ganz andere Hindernisse auf mich zukommen, doch seit Snow&Eyes weiß ich auch, dass mit einer Sehschädigung viel mehr geht, als man vielleicht vorher denkt.

2 Gedanken zu „Blindes Vertrauen

  1. Hegering

    Hallo, Janne,
    habe heute auf KN-online Deinen Beitrag zum „Blindes Vertrauen-blind skifahren“ gelesen. Tolles Projekt, das Du da betreust. Schön, so etwas über eine ehemalige RHS-Schülerin zu lesen, zumal aus der Entfernung, nachdem ich Kiel in Richtung Koblenz verlassen habe. Weiter so und alles Gute für Dein Studium!
    MfG Dein alter Bio-Lehrer
    (sorry *g*)

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  2. Jürgen Trinkus

    Der Bericht hilft mir bei der mentalen Vorbdreitung, denn 2017 werde auch ich dabei sein mit blindem Vertrauen. Danke!

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