Bei den Model United Nations vertreten Studierende die Interessen verschiedener Länder. Während der diesjährigen MUN-Konferenz, welche zur Zeit in New York stattfindet, schlüpft die Kieler Delegation in die Rolle von Somalia. Bei den simulierten Planspielen debattieren die Delegierten über weltpolitische Themen wie beispielsweise Umweltpolitik und verabschieden Resolutionen. Um die Staaten möglichst realistisch zu repräsentieren, beschäftigen sich die Teilnehmer bereits ein halbes Jahr vorher mit den einzelnen Positionen. Nicht nur Verständnis für internationale Politik, sondern auch rhetorische Fähigkeiten werden geschult. Im Fokus stehen die Arbeit der Vereinten Nationen sowie der Austausch mit anderen Kulturen aus der ganzen Welt. In einem Interview mit der Kieler Teilnehmerin Ricarda Richter habe ich noch mehr über MUN erfahren.
Wie bist du zu MUN gekommen, Ricarda?
Ich habe mich zunächst nicht getraut, weil ich dachte, irgendwie machen das bestimmt nur die megaguten Leuten. Aber ich hatte schon zweimal in Oldenburg, meiner Heimatstadt, während meiner Schulzeit mitgemacht. Da kommen auch internationale Leute aus anderen Ländern, aber das Niveau ist natürlich noch etwas niedriger. Mir hat das total viel Spaß gemacht. Ich hatte nur wahnsinnig Bammel davor, vor einer Versammlung zu sprechen. Ich habe daraufhin mit einer Freundin, die schon einmal bei MUN mitgemacht hat, über meine Pläne gesprochen. Sie war total begeistert. Dadurch ist für mich das Eis etwas gebrochen; die Hemmschwelle war nicht mehr so hoch. Natürlich musste es noch zeitlich passen, weil der Arbeitsaufwand für MUN ziemlich hoch ist. Als klar war, dass ich noch ein siebtes Semester dranhängen würde, hatte ich universitär ein bisschen mehr Luft. Ich habe mich dann entschieden, mich zum Abschluss meiner Studienzeit in Kiel zu bewerben. Und das hat dann geklappt.
Wie muss man sich das Anmeldeverfahren vorstellen?
Ich musste einen Fragebogen ausfüllen, den man online runterladen konnte. Hauptsächlich wurde nach der eigenen Motivation gefragt, warum man da unbedingt hin will. Außerdem noch ganz klassische Sachen, was die Stärken und Schwächen sind, der Lebenslauf, was man für Englischkenntnisse hat. Dann hat es ungefähr eine Woche gedauert, bis ich zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Das haben die vier Headdelegates geführt. Headdelegates begleiten einen durch das halbe Jahr Vorbereitungszeit und waren im Vorjahr selbst normale Delegierte. Alle in Anzug und superschick, da habe ich sich schon etwas eingeschüchtert gefühlt. Das Vorstellungsgespräch war auf Englisch. Fast alle, die dieses Jahr mitmachen, waren nach dem Abi in einem englischsprachigen Land, sodass wirklich alle fließend Englisch sprechen können. Nach dem Gespräch wurden die 14 Leute, die die Plätze bekommen haben, eingeladen. Das Ganze wurde dann bei Facebook verkündet.
Welche Aufgaben können die Teilnehmer übernehmen?
Jeder Kieler Teilnehmer wird Teil der Delegation Kiel. Die Delegation bewirbt sich auf verschiedene Länder, die sie interessieren würden. Man kann zehn Wünsche angeben, wobei man nicht sein eigenes Land repräsentieren kann. Wir haben uns hauptsächlich auf Krisenländer beworben. Letztendlich ist es Somalia geworden. Ein interessantes Land, aber auch ein Land, das als ärmstes, mit der instabilsten Regierung und der höchsten Korruptionsrate ungefähr die schlechteste Verhandlungsposition hat.
In den UN gibt es verschiedene Komitees. Das bekannteste ist der UN-Sicherheitsrat, aber auch das Economic & Social Council. Ich zum Beispiel bin beim United Nations Environment Program. Man würde eigentlich denken, das sei deren letztes Problem, aber zum Beispiel ist eines der Themen dieses Jahr illegale Waldrohdung. Das ist tatsächlich ein großes Problem in Somalia, weil sich durch illegale Rohdung und der daraus resultierenden Holzkohleproduktion zu einem entscheidenden Anteil die dortige Terrormiliz finanziert. Insofern kommen schon Sachen zum Vorschein, die man vorher nie gedacht hätte.
Dann hatten wir ein halbes Jahr Vorbereitung. Wir haben uns von Oktober bis Ende Januar jedes zweite Wochenende im International Center getroffen; immer Samstag und Sonntag von ungefähr 10-16 Uhr. Das war schon arbeitsintensiv. Man musste zwischendurch auch Reden und Position Papers schreiben. Man hat sich dementsprechend sehr intensiv mit den Vorstellungen seines Landes dazu beschäftigt, damit man dann die anderen Länder von der Relevanz der eigenen Position überzeugen kann. Dann kann man Druck ausüben, damit Resolutionen entstehen, die im Sinne Somalias sind.
Kannst du ein bisschen was über den Alltag der Teilnehmer erzählen?
Der Alltag der Teilnehmer ist sehr durchgetaktet. Es gibt noch andere Termine drumherum. Die Konferenz geht erst am 20. März los, aber am 18. müssen wir schon alle da sein. Dann besuchen wir zum Beispiel die deutsche Botschaft und andere wichtige Institutionen.
Die fünf Tage, an denen die Konferenz stattfindet, geht es um halb acht los. Wir müssen also früh aufstehen und frühstücken. Dann geht es durchgehend bis 20 Uhr, wenn wir Glück haben; sonst auch mal bis 22 Uhr. Danach wird sich auf den nächsten Tag vorbereitet. Wir gucken, wie die Verhandlungen gelaufen sind und recherchieren im Internet. Außerdem besprechen wir uns innerhalb der Delegation aus Kiel. Angeblich ist dann noch jeden Abend Party, man schläft als in diesen Tagen gar nicht und ist die ganze Zeit unterwegs, so bis 3 oder 4 Uhr. Und dann muss man um 6 wieder aufstehen.
Es ist auf jeden Fall verbunden mit viel Anstrengung, wenig Schlaf und man sollte die Zeit optimal nutzen. Am letzten Abend gibt es eine Art Ball, wo dann alle Teilnehmer der Konferenz nochmal ordentlich feiern.
Was wird für dich persönlich die größte Herausforderung auf den Konferenzen?
Die größte Herausforderung wird für mich das Sprechen vor Publikum. Wir haben aber ganz viele Übungen dazu gemacht. Zum Beispiel wird dir spontan ein Thema gesagt. Dann sollst du da eine faszinierende, mitreißende Rede zu halten. Ich war immer wahnsinnig aufgeregt, mit Herzklopfen und allem Drum und Dran. Ich habe da schon Respekt vor.
Auf einem Vorbereitungswochenende in Greifswald haben wir in einer Simulation mit den Leuten von der Uni Greifswald geübt und das war toll für mich zu merken, dass es mir schon viel einfacher fällt, dort frei zu sprechen. Es ist etwas deutlich anderes, als ein Referat zu halten. Das war schon schwierig und ich bin noch keine perfekte Politikerin, aber dieses Selbstvertrauen zu sprechen gibt es schon. In New York sind es dann natürlich nochmal ein paar mehr hundert Leute, aber ich hoffe, dass es trotzdem gut klappen wird.
Warum sollte man sich bei MUN unbedingt bewerben?
Ich glaube einfach, dass es eine ziemlich große Chance ist, die man so schnell auch nicht wieder hat. Auch die Völkerverständigung ist wichtig. Jeder, der Interesse an Politik hat, kann das ein bisschen praktisch nachvollziehen, anstatt es sich in der Uni nur theoretisch in Vorlesungen anzuhören und anzulesen.
Was sind deiner Meinung nach die Ziele von MUN?
Das Ziel ist es, ein Verständnis für internationale Politik zu schaffen und junge Menschen aus der ganzen Welt zusammenzubringen. Von überall auf der Welt kommen Studenten nach New York, so um die 5000, von allen Kontinenten. Letztendlich werden die fiktiven Resolutionen, die dort entstehen, ernstgenommen. Die Resolutionen, die zum Schluss von der General Assembly verabschiedet werden, werden tatsächlich auch an die richtigen UN weitergeleitet. Die gucken sich an, ob sie mit den Ideen der Studenten etwas anfangen können.
Ansonsten hat jeder bei MUN seine eigenen Ziele. Mein bester Freund, der auch mitkommt, möchte gern coole Leute von überall kennenlernen. Es ist also für jeden unterschiedlich, was er davon mitnehmen will. Es bringt viel Spaß und meistens sind interessierte Leute dabei. Man möchte gut verhandeln, aber auch eine gute Zeit mit allen zusammen haben.
Wie sehen deine Erwartungen an deine Zeit bei MUN aus?
Ich freue mich am meisten darauf, Leute aus den verschiedenen Ländern kennenzulernen. Vor allem welche, die auf ähnliche Weise wie ich an politischen Prozessen interessiert sind, mit denen man einfach spannende Sachen diskutieren kann. Was ich gleichzeitig total aufregend finde ist, sich so intensiv mit einem Land auseinanderzusetzen, das man vorher zwar auf dem Schirm hatte. Allein mit der Beschäftigung zu den Ländern und mit der Vertretung dieser bekommt man dann einen viel tieferen Einblick in diese Länder und ihre Funktionsweise. Man muss auf dieser Konferenz immer möglichst in seiner Rolle bleiben, also auch die Werte des Landes vertreten. Das trägt viel zum Verständnis von anderen Ländern bei.