„Endlichkeit gehört zum menschlichen Sein dazu“

Jeder Mensch muss sich früher oder später mit seiner Vergänglichkeit auseinandersetzen. Auch unsere natürlichen Ressourcen sind begrenzt. Vergänglichkeit und Endlichkeit sind somit zwei Bereiche des menschlichen Lebens, die uns alle begleiten und die wir auf die verschiedensten Arten erfahren. Auch wenn unsere Erfahrungen und unser Umgang mit dem Thema individuell sind, hat es sich der angestrebte Sonderforschungsbereich ‚Endlichkeit‘ der CAU Kiel zum Ziel gesetzt, ein theoretisches Konzept zu entwickeln, das diesen Bereich des menschlichen Seins einfängt. Um eine finanzielle Förderung zu erreichen, wurde bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein Antrag eingereicht, der sich in der Prüfung befindet. Der CollegeBlog hat sich mit dem Sprecher des Projektes, Professor Konrad Ott vom Philosophischen Seminar unterhalten, um mehr über Vergänglichkeit, Fördermittel und die Besonderheiten geisteswissenschaftlicher Verbundforschung zu erfahren.

Herr Ott, können Sie mir als Einstieg erzählen, wie der Weg eines Sonderforschungsprojektes bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft aussieht und welche Rolle Sie beim Kieler Projekt einnehmen?

Ich bin im Jahr 2012 an die CAU Kiel gewechselt. Zu dieser Zeit gab es schon eine mögliche Initiative für einen Sonderforschungsbereich (SFB) ‚Endlichkeit’. Sonderforschungsbereiche sind relativ hoch aufgehängt und sind gewissermaßen Verbundforschung. Es wurde auch vom Präsidium gewünscht, so eine Verbundforschung in den Geistes- und Humanwissenschaften zu etablieren, denn die Naturwissenschaften haben da einen Vorsprung. Es gibt deutschlandweit sehr viel mehr SFB im Bereich der Naturwissenschaften und in der Medizin als in den Geisteswissenschaften, weil es schwer ist, geisteswissenschaftliche Verbundforschung zu organisieren.

Dann habe ich mich 2012 direkt in die Initiativgruppe ‚Endlichkeit’ begeben, damals nur mit einem eigenen Teilprojekt. Professor Tine Stein aus der Politikwissenschaft war die Sprecherin. Seit 2015 hat sich meine Rolle in dem Projekt geändert und ich bin Sprecher, weil Frau Stein das aus verschiedenen Gründen nicht mehr machen wollte. Aber sie ist die Ko-Sprecherin und wir beide verstehen uns ausgezeichnet und leiten das Projekt sehr paritätisch.

Wir haben dann eine erste Projektskizze bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingereicht. Das ganze ist ein dreistufiges Verfahren. Erst kommt die Antragsskizze, ein Vorantrag, in dem viele administrative Details stehen müssen, dann der Vollantrag und dann folgt eine Begehung. Das ist ein sehr aufwändiges Verfahren, aber es geht ja auch um ein gewisses Fördervolumen.

Die Antragsskizze wurde im ersten Anlauf relativ scharf kritisiert. Man gab uns aber eine zweite Möglichkeit, es zu versuchen, weil viele Gutachter meinten, das Thema sei wahnsinnig spannend und die Gruppe gut. Daraufhin haben wir den Manteltext und die Teilprojekte gründlich überarbeitet und haben eine zweite Antragsskizze zur DFG geschickt. Wir wurden zu einem Gespräch eingeladen. Danach – und das ist ein kleiner Teilerfolg – wurden wir zum Vollantrag aufgefordert. Das heißt, man hat die erste Hürde genommen. Am 29. Juni wird der Vollantrag der DFG übermittelt und Ende August oder Anfang September ist die Begehung. Anschließend wird im Senat der DFG im November entschieden. Dadurch, dass wir zum Vollantrag aufgefordert worden sind, haben wir einen Teilerfolg erzielt, wir haben aber noch nichts gewonnen. Die Wahrscheinlichkeit, eine Bewilligung durch die DFG zu erhalten, liegt bei etwa 50 Prozent, vielleicht etwas darüber. Es ist immer möglich, auf den letzten Metern zu straucheln und dass der DFG-Senat zu einem Urteil kommt, dass das Projekt nicht gefördert werden sollte. Es kann auch sein, dass wir am Ende dieser vielen Jahre andauernden Arbeit mit leeren Händen dastehen. Das ist das Risiko, wenn man sich in die Gefilde von Exzellenzinitiativen und Sonderforschungsbereichen hineinbegibt.

Warum sind Gelder von der DFG so begehrt?

Die DFG fördert Grundlagenforschung. DFG-Gelder sind deshalb so begehrt, weil man dadurch zeigt, dass man in diesem Forschungsbereich tätig ist. SFBs sind ein besonders hochwertiges Format. Deswegen hat das Ganze ein Fördervolumen von über sechs Millionen und deswegen gibt es davon auch nicht viele. Wenn man einen SFB hat, dann freut sich jede Universität. Kiel hat momentan fünf oder sechs, das ist schon ziemlich gut. Wenn wir dann noch eines in den Geisteswissenschaften etablieren könnten, von denen es in Deutschland nicht viele gibt, wäre das ein großer Erfolg.

Man kann dann auch neue Leute einstellen. Das ist gewissermaßen der Löwenanteil des Fördervolumens, also die Nachwuchswissenschaftler auf der Promotions- und Postdoc-Ebene. Wir können dann ungefähr 20 gute junge Leute nach Kiel holen und ihnen vier Jahre lang einen Arbeitsplatz geben. Wir schaffen also Arbeitsplätze für junge Nachwuchswissenschaftler. Das ist nicht das Geringste, was damit geleistet wird. Niemand von uns ist rechtlich verpflichtet, einen solchen SFB durchzuführen, aber wir machen das auch, um die Möglichkeit zu haben, vier Jahre lang mit begabten jungen Nachwuchswissenschaftlern sehr spannende Themen zu erarbeiten.

Wie genau sieht das Projekt inhaltlich aus?

Wir gehen davon aus, dass es so etwas wie lebensweltliche Themen gibt, die uns allen vortheoretisch geläufig sind, die aber teilweise noch nicht systematisch aufgearbeitet worden sind. Endlichkeit gehört gewissermaßen zum menschlichen Sein dazu. Das heißt, Endlichkeit ist etwas, das unser Leben in vielerlei Formen durchzieht und prägt. Wir leben in einer Welt von Knappheit, Vergänglichkeit und Begrenztheit vielerlei Art und müssen als Menschen mit diesen eher unerfreulichen Dingen einen Umgang finden, der sich am besten auch aus der ethischen Perspektive rechtfertigen lässt.

Es gibt zwei fundamentale Formen von Vergänglichkeit. Das ist auf der einen Seite die des Individuums und von Kollektiven oder Kulturen und auf der anderen Seite die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen. Wir wollen in dem Projekt versuchen, ein theoretisches Netz auszuarbeiten, wo man Erfahrungen und Umgangsweisen mit Endlichkeit identifizieren kann und sie dann über verschiedene Zeiten und Kulturen zueinander in Beziehung setzen kann. Deswegen heißt der Antrag auch ‚Erfahrung und Umgang mit Endlichkeit’. Dazu gibt es vier theoretische Grundbegriffe. Das sind Erfahrung, Umgang, Begrenztheit und Vergänglichkeit. Diese werden dann durch Hypothesen und Fragestellungen erweitert, so dass man am Ende in dem Manteltext einen Theoriekern sieht, der dann in Form von interdisziplinärer Forschung auf die mittlerweile 17 Teilprojekte angewendet werden kann.

Das ist gewissermaßen die Kunst. Sie müssen der DFG klarmachen, dass Sie eine systematische Fragestellung haben und nicht nur ein lockeres Dach über sehr heterogenen Dingen. Ich hoffe, dass wir das jetzt hinbekommen haben und die unterschiedlichen Teilprojekte mit ihrer Forschung unter diesem theoretischen Suchraster beginnen können.

Die einzelnen Teilprojekte sind verschiedenen Säulen zugeordnet. Das ist einmal ‚Vergänglichkeit’ und dann ‚Begrenztheit’. Die Säule ‚Vergänglichkeit’ beginnt in der altjüdischen Kultur der Bibel. Da wird der Theologe Markus Saur ein Projekt zu dem Buch Kohelet im sogenannten Alten Testament durchführen. Dann haben wir noch weitere antike Projekte, zwei aus der griechischen Antike und eines aus der römischen. Außerdem gibt es noch zwei Projekte aus dem Mittelalter, das sind zu einem Jenseitsreisen und zum anderen Texte über den Untergang Trojas an der Wende zur frühen Neuzeit von Professor Timo Reuvekamp-Felber. Am Ende haben wir auch recht gegenwartsnahe Projekte. Da gibt es den Umgang mit apokalyptischen Texten der slawischen Literatur sowie mit Emotionspraktiken und dem Problem des Alterns im heutigen China. Letzteres ist das einzige Projekt, wo wir über den westlichen Kulturkreis hinausgehen. Des Weiteren noch ein medizinethisches Projekt über Kommunikationsformen in existentiell besonders belasteten Situationen. Wir wollen also von Kohelet über die Antike bis in die heutige Medizinethik gehen und dann Umgangsformen und Erfahrungsweisen mit Vergänglichkeit sichtbar machen.

Die zweite Projektsäule beginnt mit einem Forschungsprojekt von Prof. Fouquet und Dr. Rabeler, wo die Begrenztheit und die Vergänglichkeit unmittelbar aufeinander bezogen werden, nämlich Nahrungsmittel und Hungerkrisen in der frühen Neuzeit. Dort werden vor allem zwei Städte untersucht, wo die Quellenlage besonders gut ist. Sie müssen sich das so vorstellen, dass die überwiegende Mehrheit der damaligen Stadtbevölkerung arm war und dass eine Verschiebung der Lebensmittelpreise sofort extrem krisenhaft war. Der Lebensstandard ist zwischen den 15. und 16. Jahrhundert dramatisch gefallen. Die Stadtbevölkerung konnte teilweise nicht mehr sicher versorgt werden. Dann geht es weiter über Landnutzungspraktiken in Schleswig-Holstein wie Entwaldung und von dort gehen wir über zu gegenwartsnahen Projekten.

Wer mehr über die einzelnen Teilprojekte erfahren möchte, kann dies durch einen von Prof. Andreas Bihrer, Dr. Anja Franke-Schwenk und Prof. Tine Stein herausgegebenen Sammelband unter dem Titel ‚Endlichkeit. Zur Vergänglichkeit und Begrenztheit von Mensch, Natur und Gesellschaft’. Dieser Band ist aus einer Ringvorlesung hervorgegangen. Wer sich tatsächlich in die verschiedene Dinge eindenken möchte, dem sei dieser Sammelband sehr ans Herz gelegt.

Was ist Ihr persönliches Teilprojekt?

Ich beschäftige mich an meinem Lehrstuhl ‚Philosophie und Ethik der Umwelt’ schon seit Jahren mit theoretischen Konzepten von Nachhaltigkeit und umweltethischen Grundlagenfragen sowie Mensch – Naturinteraktion. Anknüpfend an meine früheren Grundlagen aus der Frankfurter Schule würde ich gerne etwas zur Gesellschaftstheorie einer Postwachstumsgesellschaft sagen. Ich würde dabei gerne auf eine explizite gesellschaftstheoretische Konzeption zurückgreifen und mache etwas, was auf den ersten Blick vielleicht kontraintuitiv ist. Ich gehe nämlich hinter Marx zurück zu Hegel. Hegel hat in seinen‚Grundlinie einer Philosophie des Rechts’ versucht, eine Theorie substantieller Freiheit auf dem Boden der modernen Welt zu entwickeln. Obwohl dieses Buch 1820 geschrieben worden ist, haben wir da eine Grundstruktur, die wir nutzen können, um uns die Probleme einer modernen Gesellschaft beim Übergang zu einer Postwachstumsgesellschaft tiefer zu verstehen.

Das ist natürlich eine metatheoretische Entscheidung, die ich dann noch rechtfertigen muss. Warum Hegel und nicht Marx? Warum nicht Luhmanns Systemtheorie? Warum nicht Habermas’ zweistufiges Konzept von System und Lebenswelt? Aber ich gehe einfach von dem Heurismus aus und meine, Hegel hat uns viel zu sagen. Die Hegelsche Gesellschaftsphilosophie ist sehr gut geeignet, um uns auf Probleme beim Übergang in der Postwachstumsgesellschaft hinzuweisen und auch über Lösungen nachzudenken.

Das ist natürlich relativ ambitioniert und ich hoffe, dass ich das im Rahmen des SFBs durchführen kann. Es ergänzt sich auch sehr schön mit einem eher empirischen Projekt von Prof. Tine Stein, wo bestimmte Akteure, sogenannte ‚social entrepreneurs’, untersucht werden, also zum Beispiel Leute, die bei der Energiewende aktiv sind oder Urban Gardening machen. Das sind Akteure, die sich jenseits vom Staat für eine Transformation engagieren. Außerdem ergänzt sich mein Vorhaben mit einem theoretischen Projekt, das von Prof. Ludger Heidbrink, einem Kollegen am Philosophischen Seminar und Prof. Tine Stein gemeinsam bestritten wird. Da geht es um Fortschritts- und Wachstumsvorstellung, auch in den ökonomischen Theorien. Die Frage dabei ist, wieso soll Wachstum Begrenztheit überwinden und Knappheiten reduzieren?

Was sind die Vorteile und Schwierigkeiten interdisziplinärer Arbeit?

In der geisteswissenschaftlichen Verbundforschung gibt es besondere Schwierigkeiten. Die Geisteswissenschaften sind, anders als die Naturwissenschaften oder die Medizin, sehr stark durch bestimmte Schulen geprägt. Der eine neigt mehr zu einer poststrukturalistischen Theoriebildung, der andere fühlt sich dem historischen Materialismus verpflichtet, der nächste ist eher Diskurstheoretiker. Deswegen ist es schon sehr schwer, einen Antragstext zu formulieren, weil viele Begriffe durch bestimmte Schulen geprägt sind und bestimmte Bedeutungen haben. Viele sagen dann sofort, dass sie einer anderen Ausrichtung angehören und deshalb bestimmte Begriffe nicht akzeptieren können. Es ist alles von Schulstreitigkeiten durchzogen. Da überhaupt eine gemeinsame Sprache zu finden, auf die sich alle einlassen können und die trotzdem aussagekräftig ist, ist schwer. Man könnte dem aus dem Weg gehen, indem man extrem neutrale Termini wählt. Da ist dann ständig von ‚Dimensionen’ oder ‚Aktanten’ die Rede, das versteht irgendwann kein Mensch mehr und es ist nicht klar, was die eigentliche Idee ist.

Deshalb haben wir uns alle zusammen auf ‚Erfahrung’ geeinigt; da können viele mitgehen. Das ist im weitesten Sinne ein phänomenologisch-pragmatischer Ansatz: Menschen machen Erfahrung oder bringen etwas in Erfahrung, versprachlichen das und interpretieren es kulturell. ‚Umgang’ ist dann ein sehr weiter Begriff aus der Pragmatik. Diese Verbindung aus Phänomenologie und Pragmatismus ist ein theoretischer Background, auf den sich viele einlassen konnten.

Das Problem war also zunächst, wie finden Geisteswissenschaftler eine gemeinsame Sprache und eine gemeinsame Herangehensweise? Viele Geisteswissenschaftler sind geprägt durch sehr gute Einzelforschung. Geisteswissenschaftliche Verbundforschung ist also ein sehr ambitioniertes Unterfangen und deswegen hat es auch lange gedauert.

Wie sehen Ihre Hoffnungen und Erwartungen bezüglich des SFBs ‚Endlichkeit’ aus?

Wie bereits erwähnt glaube ich, dass Endlichkeit eine anthropologische Grundgegebenheit ist. Die können wir nicht überspringen oder loswerden. Wir haben zwar immer diese utopischen Fortschrittsfantasien von einer Überflussgesellschaft, manchmal auch kommunistischen Typs, die Knappheit und Begrenztheit überwindet. Wenn man daran nicht mehr glaubt, ist es interessant, sich humane Umgangsformen mit Endlichkeit diskursiv und reflexiv zu betrachten. Was können wir als endliche, menschliche Wesen tun?

Deswegen glaube ich, das dieses Projekt für ganz viele aktuelle gesellschaftliche Debatten von großer Aktualität ist. Denken Sie an die Debatten über demografischen Wandel des Alterns, an Hospizbewegungen, an Klimawandel, an die Frage nach dem Umgang mit knappen Ressourcen oder an das Problem der Verteilungsgerechtigkeit angesichts begrenzter Ressourcen. Letztere ist einer der Hauptfragen im Bereich Global Justice.

Das heißt, unser Forschungsprojekt ist methodologisch interdisziplinär, aber von großer gesellschaftspolitischer Bedeutung. Allerdings ist es nicht so, dass wir mit Patentrezepten aufwarten können. Wir können vielleicht zeigen, dass jede Gesellschaft die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen und die Vergänglichkeit der Individuen miteinander ins Gespräch bringen muss und dass jede Gesellschaft einen humanen Umgang mit Endlichkeit entwickeln können muss. Deswegen denke ich, dass das Projekt eine existenzielle Dimension hat, das geht jeden etwas an. Ich glaube, es würden viele schöne Bücher und Aufsätze sowie Konferenzen und Vorträge entstehen, wenn wir das in Kiel für ein paar Jahre machen könnten. Ich klopfe drei Mal auf Holz, aber so ein SFB würde der CAU sehr gut zu Gesicht stehen, weil es in den Geisteswissenschaften ein neuer Schwerpunkt wäre.

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