Kieler Philosophen fragen nach: Passt unser Wirtschaftssystem noch zur Gesellschaft?

Größer, schneller, besser! Unser derzeitiges Wirtschaftssystem basiert auf Wachstum. Doch kann es überhaupt ein unendliches Wachstum geben? Und was passiert nach dem Wachstum? Die Folgen sind nicht mehr zu übersehen: Die Umwelt wird zerstört und die globale Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer. Warum fällt es uns so schwer, Verantwortung zu übernehmen? Und wie kann man Unternehmen dazu bewegen, nachhaltiger zu wirtschaften? Einige Antworten kann vielleicht das Forschungsprojekt „Gemeinwohl-Ökonomie im Vergleich unternehmerischer Nachhaltigkeitsstrategien“ (GIVUN) liefern, das vom Norbert Elias Center der Europa-Universität Flensburg in Kooperation mit der CAU Kiel durchgeführt wird. Es steht unter der Leitung von Prof. Dr. Harald Welzer und Dr. Bernd Sommer in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Ludger Heidbrink.

In der letzten Woche war die Flensburger Projektkoordinatorin Dr. Klara Stumpf zusammen mit Lisa Jakob und Markus Schwarz vom Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein e.V. zu Gast am Philosophischen Seminar in Kiel. Im Rahmen der Lehrveranstaltung „Selbsterhaltung & Postwachstum“ lud Ralf Köhne, Dozent am Lehrstuhl für Praktische Philosophie, zu einem gemeinsamen philosophischen Salon ein.

Ob Finanzkrise oder Umweltkrise – die Welt steht derzeitig vor großen Problemen und noch immer sind keine konkreten Lösungen in Sicht. Frau Dr. Stumpf, was meinen Sie, was läuft in unserem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem falsch?

Meiner Meinung nach ist das Wirtschaftssystem ein Stück weit aus seinen gesellschaftlichen Bezügen entbettet. Wir wollen immer alles verfügbar haben – das ist natürlich eine attraktive Errungenschaft, die aber auch mit immensen Kosten einhergeht. Beispielsweise dem Ressourcenverbrauch und der Externalisierung, also dem Leben auf Kosten anderer und der Natur.

Christian Felber ist der Begründer der Gemeinwohl-Ökonomie. Er fordert ein neues Wirtschaftssystem, das ausschließlich dem Gemeinwohl dient. Ist dieses Modell realistisch?

Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) ist einerseits ein Modell für eine andere Wirtschaftsordnung und andererseits eine soziale Bewegung, die darauf hinwirken will. Das Spannende daran ist, dass sich die Bewegung auf der Grundlage der Bücher Neue Werte für die Wirtschaft (2008) und Gemeinwohl-Ökonomie. Das Wirtschaftsmodell der Zukunft (2010) gebildet hat. Der österreichische Autor Christian Felber ist mit diesen Büchern auf große Dynamik gestoßen. Nach dem zweiten Buch haben sich etwa hundert regionale Gruppen gebildet, die die Idee gut fanden und voranbringen wollten. Einerseits engagieren sich ganz normale Bürger – andererseits aber auch Unternehmen. Die Kernidee ist, nicht mehr den Profit, sondern das Gemeinwohl als oberstes Ziel des Wirtschaftens anzusehen und entsprechende politische Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Wie das Modell in allen Einzelheiten umsetzbar ist, wird sich zeigen. Es ist auf jeden Fall ein Modell, das zeigen möchte, wie die derzeitige Ordnung schrittweise transformiert werden könnte.

Welche Ziele haben Sie sich mit GIVUN gesetzt?

Vor dem Hintergrund eines beschleunigten Ressourcenverbrauchs, des Klimawandels und weltweiter Ungleichheiten einerseits und einer Kritik an der Fokussierung auf das BIP-Wachstum andererseits analysiert unser Projekt GIVUN, wie man einem gemeinwohlorientierten Wirtschaften näher kommen könnte. Wir schauen uns den historischen und wirtschaftsethischen Kontext an und führen empirische Studien durch. Wir untersuchen, welche Ansätze schon vorhanden sind, und prüfen sie auf ihr transformatives Potenzial. Die Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung nach Felber ist hierbei ein möglicher Baustein eines großen Mosaiks.

Sie arbeiten u.a. mit den Großunternehmen Vaude, Dm-Drogeriemarkt und Otto Group zusammen. Wie erforschen Sie das unternehmerische Handeln?

Unsere Arbeitsschritte sind in vier Module gegliedert. Modul A ordnet die GWÖ ideengeschichtlich ein und stellt sie anderen historischen und gegenwärtigen Gemeinwohl- und Nachhaltigkeitsansätzen gegenüber. Dieser Arbeitsschritt wird von unseren Kieler Kollegen geleitet und bildet den Forschungsrahmen, in denen das gemeinsam verantwortete Modul B und die in Flensburg durchgeführten Module C und D eingebettet sind. Modul B untersucht die Gemeinwohl-Bilanz und vergleicht sie mit verbreiteten CSR-Instrumenten wie EMAS, GSCP, ISO 26000 und dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex. Im Modul C führen wir Interviews mit Unternehmen, die bereits mit einer Gemeinwohl-Bilanz gearbeitet haben. Hierzu gehören u.a. der Outdoor-Ausstatter Vaude, die Druckerei Oktoberdruck, die Demeter-Brotbäckerei Märkisches Landbrot und der Tiefkühlkostanbieter Ökofrost. Im Modul D übertragen wir das Konzept auf große Unternehmen und führen Fallstudien durch. In diesem Bereich arbeiten wir u.a. mit Dm und der OTTO Group zusammen.

Sie haben eben von der Gemeinwohl-Bilanz gesprochen. Können Sie erklären, wie sich diese Bilanz ergibt?

Die Gemeinwohl-Bilanz, dargestellt in einer Matrix, ist das Kernstück  der Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung und bezieht sich auf die Unternehmensebene. Ihr Ziel ist es, zu erfassen, was Unternehmen zum Gemeinwohl beitragen. Sie besteht auf der einen Seite aus den vier Kernwerten ‚Menschenwürde‘, ‚Solidarität und Gerechtigkeit‘, ‚ökologische Nachhaltigkeit‘ und ‚Transparenz und Mitentscheidung‘ und auf der anderen Seite aus den verschiedenen Berührungsgruppen eines Unternehmens wie den Lieferant*innen, Geldgebern, Mitarbeiter*innen, Kunden und dem gesellschaftlichen Umfeld. Hieraus ergeben sich zwanzig Themen, zu denen das Unternehmen berichten soll. Beispiele sind hier ‚Förderung des ökologischen Verhaltens‘, ‚Reduktion ökologischer Auswirkungen‘ sowie die ‚gerechte Verteilung des Einkommens‘. Es gibt bereits eine Vielzahl an Unternehmern, die diese Wertebasis teilen und in ihrem Unternehmen erfassen und umsetzen wollen. Über zweitausend Unternehmen unterstützen die GWÖ und rund vierhundert haben bereits diese Gemeinwohl-Bilanz erstellt. Wie diese Unternehmen wirtschaften, untersuchen wir in GIVUN. Mittlerweile ist diese Matrix in der fünften Version und es gibt ein dickes Handbuch, in dem genau beschrieben ist, wie die Themen umgesetzt werden sollen. Die GWÖ stellt die Forderung, die Bilanz mit bestimmten politischen Rahmenbedingungen zu verknüpfen, so dass Unternehmen mit einer guten Bilanz beispielsweise mit Steuererleichterungen oder staatlichen Aufträgen belohnt werden können. So weit ist die GWÖ allerdings noch nicht.

 Das Forschungsprojekt GIVUN wird noch bis Anfang 2018 von dem Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Wie geht es dann weiter? 

Ja, unsere dreijährige Förderung wird im Februar nächsten Jahres auslaufen. Wir planen hierfür eine große Abschlusskonferenz in Berlin – mit Personen aus Wissenschaft und Politik. Wie es danach weitergeht, lässt sich aber leider noch nicht genau sagen. Wir werden dranbleiben an den Fragen einer zukunftsfähigen Gesellschaft.

Herzlichen Dank für Ihren Besuch.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.