„Hochschulen sollten Studierende dazu befähigen, Zukunftsmacher zu werden“

Die CAU forscht und lehrt nicht nur viel zu den Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit, sie hat sich auch ein eigenes Ziel gesetzt: Der eigene Universitätsbetrieb soll bis 2030 weitestgehend klimaneutral werden. Um den eigenen CO2-Ausstoß zu reduzieren, ergreift das Umweltmanagement der CAU viele Maßnahmen und Kampagnen. Kürzlich hat das Team von Klik (Klima Konzept 2030) eine Interviewreihe gestartet. Renommierte Professoren erklären, warum der Klimaschutz noch ernster genommen werden muss und warum auch Donald Trump den Erneuerbare Energien-Boom nicht aufhalten kann. Die Interviews erscheinen als Gastbeiträge auf dem KN-College-Blog. Sie lesen ein Interview mit … Professor Christoph Corves.

Er ist Professor für Geographie und Medien an der Christian-Albrechts-Universität. 2010 hat er das Projekt yooweedoo gegründet. yooweedoo unterstützt Studierende, die die Welt verändern wollen, bei der Gründung von ökologisch und sozial nachhaltigen Projekten, Organisationen und Unternehmen.

Klik 2030: In Ihrer Lehre befassen Sie sich mit dem Thema Nachhaltigkeit. Warum haben Sie sich diesen Schwerpunkt gesetzt?

Prof. Corves: Mein Interesse richtet sich auf den Bereich Bildung für nachhaltige Entwicklung und im Speziellen Social Entrepreneurship Education. Mich interessiert die Frage, wie Lehre an der Universität gestaltet werden kann, damit Studierende lernen, die Welt zu verändern; damit sie die Erfahrung machen, dass sie die Welt verändern können. Meine eigene Erfahrung im Hochschulstudium – was ja nun schon etwas zurückliegt – war, dass Universitäten Studenten nur selten ermöglichen, zu lernen, wie man selber ein Problem löst. Und ich denke, an der Uni sollte man lernen, reale Probleme zu lösen. Das können gesellschaftliche Probleme oder auch Forschungsprobleme sein.

Klik 2030: Und wie bringen Sie Studierenden das Lösen von Problemen bei?

Prof. Corves: Dafür haben wir im Jahr 2010 das Projekt yooweedoo gegründet. In unserem Lernprogramm lernen Studierende, wie man ein Changeprojekt plant und umsetzt, das die Welt im Kleinen verändert. Sie lernen es, für ein gesellschaftliches Problem eine unternehmerische Lösung zu planen und in einem Pilotprojekt zu testen. Im yooweedoo Ideenwettbewerb können sie bis zu 2.000 Euro Startkapital für ihr Vorhaben gewinnen. In diesem Jahr konnten wir 34 Projekte finanzieren, davon rund 15 in Kiel.

Klik 2030: Das heißt Sie geben den Studierenden keine Themen und Probleme vor?

Prof. Corves: Es ist ein ganz wichtiger Lernschritt, ein gesellschaftliches Problem selbst zu erkennen und seine Ursachen zu analysieren. Wir geben deshalb die zu bearbeiteten Probleme grundsätzlich nicht vor. Wir haben stattdessen einige einfache Regeln festgelegt, welche Art von Projekten in unserem Lernprogramm entstehen sollen. Projekte müssen einen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung leisten. Sie müssen einen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen. Wir sagen den Studierenden, ihr müsst uns genau erklären, worin dieser Mehrwert besteht und welche Zielgruppe in der Gesellschaft diesen Mehrwert haben wird. Außerdem verlangen wir, dass jedes Projekt ein realistisches Finanzierungs- oder Geschäftsmodell hat. Und im Ideenwettbewerb fördern wir nur Projekte, wenn die Studierenden die volle Verantwortung haben.

Klik 2030: Welche Themen und Probleme bewegen denn die Studierenden?

Prof. Corves: Das kann man so pauschal kaum beantworten. Jedes Jahr entstehen in unserem Lernprogramm neue spannende Projektideen. Es gibt natürlich immer Themen, die wie „Interessenswellen“ durch die Studierendenschaft schwappen. Seit zwei, drei Jahren beschäftigen sich viele Studierende mit den Themen Upcycling, Ressourcenschutz und der Reduzierung von Lebensmittelverschwendung.

Klik 2030: Sie haben yooweedoo angesprochen. Daraus sind in den letzten Jahren viele kleine Projekte entstanden. Gibt es da ein Projekt, das Ihnen in Erinnerung geblieben ist, wo Sie gesagt haben: Das war besonders wertvoll für den Klimaschutz?

Prof. Corves: Ich habe eigentlich alle Projekte in Erinnerung. Im Bereich Klimaschutz gibt es zum Beispiel das Projekt „Das Kieler Tretwerk“. Das Projekt hat das erste Verleihsystem für Lastenfahrräder in Kiel aufgebaut. Das Kieler Tretwerk ist als gemeinnütziges Projekt gestartet, dann wurde ein Verein gegründet, der inzwischen bereits vier Lastenräder anbietet. Aber es gibt auch viele andere Projekte, über die man sich auf der Webseite von yooweedoo informieren kann.

Klik 2030: Welche Rolle sollten Hochschulen wie die CAU beim Thema Umwelt- und Klimaschutz einnehmen?

Prof. Corves: Eine Universität sollte ein Pilot sein für das, was möglich ist. Diesen Anspruch sollte die CAU an sich selbst stellen. Die CAU wird wirkliche Veränderungen nur dann erzielen können, wenn sie die Mitarbeiter und Studierenden stärker als bisher motiviert, aktiv zu werden. Dafür müssen Beteiligungsmöglichkeiten geschaffen werden. Ein erster Schritt war es, ein Umweltmanagement an der CAU aufzubauen. Die Uni Kiel ist nach wie vor eine der Vorreiter-Universitäten in diesem Bereich. Ich denke, dass es außerdem wichtig ist, zu begreifen, dass wir als Universität Kiel nicht nur für uns selbst verantwortlich sind. Wir haben mehrere Tausend Mitarbeiter/innen und fast 26.000 Studierende. Damit sind wir hinsichtlich unseres Energieverbrauchs wahrscheinlich der größte „Stadtteil“ in Kiel. Für den Erfolg der Stadt Kiel beim Klimaschutz ist es deshalb ganz wichtig, dass die Universität ein Motor für den Klimaschutz in der Region wird.

Klik 2030: Sie sind jetzt schon seit 15 Jahren in der Lehre im Bereich Nachhaltige Entwicklung tätig. Hat sich Ihr persönlicher Lebensstil durch Ihre Arbeit in dieser Zeit verändert?

Prof. Corves: Das ist schwer zu sagen. Ich richte mein Leben nicht primär nach Klimaschutzgesichtspunkten aus. Ich wohne zwar in einem energieeffizienten Haus, was vor zehn Jahren auch unter diesem Gesichtspunkt gebaut wurde. Ich ernähre mich biologisch, esse praktisch kein Fleisch. Die 25 Kilometer von meinem Haus zur Universität lege ich jedoch auf Grund der unzureichenden Schiffs- und Bahnverbindungen meistens mit dem Auto zurück. Unter Klimaschutzgesichtspunkten müsste ich mit meiner Familie in die Stadt ziehen. Ich dürfte auch keine Flugreisen mehr machen. Urlaubsreisen mit dem Flugzeug müssten eigentlich ganz verboten werden. Wir neigen ja fast alle dazu, Veränderungsmöglichkeiten eher bei anderen zu entdecken; bei Dingen, die unseren eigenen Lebensstil nicht betreffen. Wenn wir Klimaschutz ernst nehmen würden, würde es für uns alle eine radikale Veränderung unsres Lebensstils bedeuten.

Klik 2030: Wie realistisch ist es, dass es solche radikalen Veränderungen gibt oder sie stattfinden werden?

Prof. Corves: Man muss beachten, dass es unterschiedliche Handlungsebenen gibt, angefangen mit meinem persönlichen Lebensstil. Darüber hinaus gibt es aber viele Themen, da muss ich gucken, wie sich Strukturen verändern lassen, beispielsweise durch Politik und Gesetzgebung. Das Motto des yooweedoo Lernprogramms ist „Teaching for Empowerment“. Wir wollen es Studierenden ermöglichen zu lernen, wie sie selbst Veränderungen planen und umsetzen können. Wir wollen ihnen im Studium die Erfahrung ermöglichen, dass sie selbst die Welt verändern können. Diese Erfahrung verändert, wie man die eigenen Handlungsmöglichkeiten einschätzt. Ich bin überzeugt davon, dass nachhaltige Entwicklung nur dann erfolgreich sein wird, wenn möglichst viele Menschen daran mitwirken. Hochschulen sollten Studierende dazu befähigen, Zukunftsmacher zu werden. Ich halte das für „die“ Kernaufgabe von Hochschulen. Wer, wenn nicht wir?

Klik 2030: Wo sehen Sie die Gesellschaft, wenn es um Umwelt- und Klimaschutz geht. Was ist aus Ihrer Sicht vielleicht eine aktuelle, realistische Forderung, die in den nächsten Jahren in dem Bereich umsetzbar ist und was ist eher unrealistisch?

Prof. Corves: In den 1980er Jahren, zu Zeit der großen Demonstrationen gegen das Atomkraftwerk in Brokdorf, hätte ich es niemals für möglich gehalten, dass wir heute einen sehr weitgehenden gesellschaftlichen Konsens haben, dass alle deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Ich hätte damals auch nicht geglaubt, dass ich es erleben werde, dass Erneuerbare Energien Mainstream sind. Vor diesem Hintergrund sehe ich zum Beispiel die Rückzugsgefechte der deutschen Kohleindustrie, die sich wahrscheinlich in zehn Jahren auch erledigt haben werden. Lobbyisten und Politiker können Gesetzgebung nutzen, um technologische und gesellschaftliche Veränderungen zu verzögern. Es wird ihnen aber schwer fallen, technologisch bedingte Veränderungen dauerhaft zu verhindern. Ein Beispiel dafür ist der Erneuerbare Energien-Boom in den USA. Den wird auch Trump nicht aufhalten können. Wenn man sich anschaut, was derzeit in Staaten wie Texas passiert, da kann Trump aus dem Pariser Klimaschutzabkommen aussteigen oder nicht, das wird die Entwicklung auch in den USA hin zu erneuerbaren Energien nicht verhindern. Verzögern vielleicht, aber nicht dauerhaft verhindern. Denn die Leute investieren in den USA in Erneuerbare Energien, weil das für sie lukrativ ist. Insofern bin ich hinsichtlich der weiteren Entwicklung der Erneuerbaren Energien optimistisch. Klimaschutz ist jedoch nicht nur eine technologische Herausforderung. Er wird uns allen eine Veränderung unseres Lebensstils abverlangen. Wenn ich sehe, mit welchen Themen sich die Studierenden im Rahmen des yooweedoo Changemaker Programms beschäftigen, bin ich aber auch in dieser Hinsicht optimistisch. Große gesellschaftliche Veränderungen brauchen halt zwei bis drei Generationen. Um das zu erkennen, bin ich trotz meiner Ungeduld für Veränderungen inzwischen alt genug.

Das Interview führte Jan Voß, Klik 2030 Christian-Albrechts-Universität Kiel.

 

 

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