Das erste Semester ohne Anwesenheitspflicht liegt hinter uns. Zeit, Bilanz zu ziehen: Ist der Wegfall der Teilnehmerlisten wirklich so schlimm, wie es die Dozenten zu Beginn prophezeiten? Wie sieht es in den Hörsälen und Seminarräumen aus? Maline und ich sammeln Argumente für und gegen die Anwesenheitspflicht.
Pro Anwesenheitspflicht
von Maline Kotetzki
Leere Seminare, zu gering besuchte Vorlesungen und Tutorien: Die größten Sorgen, die die Gegner der Abschaffung der Anwesenheitspflicht umgetrieben haben, haben sich zum Teil bewahrheitet. Die Struktur von Seminaren im Vorhinein zu planen gestaltet sich schwierig, wenn ein Großteil der Studierenden wegbleibt. Gruppenarbeiten und anderen Methoden lassen sich nicht umsetzen und Referate, die vor einer Handvoll von Kommilitonen gehalten werden, bringen nur halb so viel Spaß.
Insbesondere Seminare leben von Gesprächen, Diskussionen und Austausch – aber wie soll all dies stattfinden, wenn kaum noch Teilnehmer erscheinen? Zusätzlich ist es schwer, sich mit Kommilitonen zu vernetzen, wenn einige nur noch in der ersten Seminarsitzung erscheinen. Hier lässt sich argumentieren, dass es solche Fälle wohl schon immer gegeben hat. Das stimmt, allerdings nehmen solche Verhaltensweisen zu. Und das nicht zuletzt, weil die fehlende Anwesenheitspflicht Anonymität generiert, eine Art Befreiung von Verantwortung. Natürlich ist die Befreiung kein Freifahrtschein dafür, sich überhaupt nicht mehr in der Uni blicken zu lassen. Leider wird sie jedoch von einigen Personen so aufgefasst.
Es ist gut, dass den Studierenden mehr Eigenverantwortung zugestanden wird. Allerdings sind einige vielleicht noch nicht bereit, diese auch zu übernehmen. Gerade für jüngere Studierende aus den unteren Semestern ist es schwer, einzuschätzen, was wirklich ausschlaggebend für ihr Studium ist. Wenn einige Kurse direkt aus dem Plan geworfen werden, dann verbauen sich die Studierenden damit die Chance, ihre jeweiligen Fächer besser kennenzulernen. Auch für Studierende, die Schwierigkeiten haben, sich selbst zu motivieren, kann die Abschaffung der Anwesenheitspflicht problematisch sein. Zeitmanagement und Organisation müssen mühsam erarbeitet werden und sind nur bedingt Teil der Hochschulreife in Form eines Abiturzeugnisses.
Komplexes Wissen, wie es in der Uni vermittelt wird, können sich selbst die größten Autodidakten nicht einfach zu Hause aneignen. Es stellt sich die Frage, ob die gewonnene Zeit tatsächlich dafür genutzt wird, sich selbstständig weiterzubilden oder nicht doch eher der Prokrastination mit Netflix dient. Andere Formen der Ausbildung können ebenfalls nicht darauf verzichten, dass die ‚Lehrlinge’ erscheinen. Wieso sollte dies in den Universitäten anders sein?
Contra Anwesenheitspflicht
von Dennis Wegner
Der Wegfall der Anwesenheitspflicht machte sich sehr deutlich in der zweiten Uni-Woche bemerkbar. Nachdem die Seminarräume zur ersten Veranstaltung noch gut gefüllt waren, hat sich die Teilnehmerzahlen in meinen Kursen mindestens halbiert. Was zunächst befremdlich wirkte, entpuppte sich zunehmend jedoch als sehr angenehm: diejenigen, die engagiert und aktiv an den Unterrichtsdiskussion teilnehmen und lernen wollten, erschienen aus eigenem Antrieb heraus. Mit der Anwesenheitspflicht hätte der Rest die Zeit sowieso nur abgesessen.
In den meisten Veranstaltungen durfte man bisher lediglich zweimal pro Semester fehlen. Diese beiden Male sind sehr schnell aufgebraucht, insbesondere im Wintersemester. Es ist unverantwortlich, erkrankt im Kurs zu erscheinen – nicht nur hinsichtlich der eigenen Gesundheit, sondern auch der Gesundheit anderer. Dies gilt vor allem gegen Ende des Semester kurz vor der Prüfungsphase.
Ich bin kein Freund des Arguments, dass die Anwesenheitspflicht wegfallen sollte, weil Studenten nebenbei noch arbeiten müssen. Ich finde, dass dies trennbar sein muss. Dennoch hab ich in meinem eigenen Verhalten feststellen müssen: Es ist befreiend zu wissen, dass man nun auch einmal dem Unterricht fernbleiben kann, um stattdessen ausgiebig an der Masterarbeit zu schreiben. Wichtig ist hier eben das selbstregulierte Lernen – und wer eben das gesamte Semester nicht im Seminar erscheint und eine schlechte Hausarbeit abliefert, ist schlichtweg selbst Schuld.
kein leichtes Thema – einige Studenten können die Zeit gut nutzen, um besser zu werden, Andere wiederrum verschwenden die Zeit vor dem PC. Es gefällt mir der Vorschlag von Maline, dass die älteren Studenten das Privileg haben sollten und nicht die Erstsemestler.