Man sagt, Weihnachten ist die schönste und besinnlichste Zeit des Jahres. Zu den Festtagen sind die Straßen wie leer gefegt. Durch die Fenster erblickt man Kerzenlicht und prachtvoll geschmückte Tannenbäume. Besonders der Heiligabend hat etwas Geheimnisvolles. Doch was ist Weihnachten wirklich? Was geht hinter den verschlossenen Fenstern vor sich? Wir haben uns an der Christian-Albrechts-Universität und der Fachhochschule Kiel umgehört – und spannende Antworten und Geschichten rund um das Weihnachtsfest gehört.
„Weihnachten ist ein Ausstieg aus der Normalität“
Prof. Dr. Ludger Heidbrink | Professor für Praktische Philosophie an der CAU
„Weihnachten ist eine Phase der Entschleunigung. Es ist die Chance, für eine kurze Zeit dem Alltag zu entfliehen und aus der Normalität auszusteigen. Ich wünsche mir für diese Zeit Ruhe und Erholung, und die Möglichkeit, vielleicht auch mal etwas zu lesen, was nicht mit dem Job zusammenhängt; etwas was außerhalb meines normalen Lesespektrums liegt. Ich beobachte aber auch, dass die Leute an Weihnachten hauptsächlich an sich selbst denken und wie im Rausch Geschenke kaufen. Die weihnachtliche Spendenbereitschaft verhält sich dazu wie eine Art Ablasshandel.“
„Weihnachten ist Familie“
Irene Colombi | studiert Praktische Philosophie der Wirtschaft und Umwelt an der CAU
„Ich komme aus Italien und bin für das Studium nach Deutschland gekommen. Weihnachten ist immer etwas Einzigartiges: Es ist die einzige Zeit, wo alle Verwandten aufeinandertreffen. Alle kommen aus den verschiedensten Ecken der Welt in meine Heimatstadt Bergamo. Wir feiern am 25. Dezember mit einem festlichen Essen und mit Blick auf die Alpen, deren Spitzen immer mit Schnee bedeckt sind. Wir erzählen uns, was während des Jahres so passiert ist, essen die lokalen Köstlichkeiten und trinken guten Wein. Abends spielen wir lustige Gesellschaftsspiele; und dann ab ins Bett: denn jeder muss fit sein für das Familien-Fußballturnier, das immer am 26. stattfindet. Aber was man unternimmt, ist eigentlich egal: das Zusammensein steht immer im Mittelpunkt und dafür bin ich immer dankbar.“
„Das Wichtigste ist Zeit“
Hanna-Elisabeth Kopp | studiert Deutsch und Religion an der CAU
„Weihnachten ist für mich eine ganz besondere Zeit. Ich liebe es, Weihnachtsgeschenke für meine Familie und meine Freunde auszusuchen. Ich halte das ganze Jahr über Ausschau nach den passenden Geschenken. Doch was braucht man wirklich an Weihnachten? Die Antwort ist einfach: Zeit mit meinen Liebsten. Man braucht Stille im Kopf, ein volles Herz, Musik in den Sinnen, gutes Essen im Bauch und Behaglichkeit. Dann kann ich mich auf das besinnen, was mir am wichtigsten ist: die Familie. Ganz nach den Worten meines Lieblingsschriftstellers Antoine de Saint- Exupéry: ‚Gib mir nicht, was ich mir wünsche, sondern was ich brauche.‘ Das ist Weihnachten für mich.“
„Weihnachten ist für alle da“
Olga Grytska | studiert Philosophie und Medienwissenschaft an der CAU
„Ich war neun Jahre alt, als ich mit meiner Familie aus der Ukraine nach Deutschland kam. Wir sind kurz vor Weihnachten in unsere erste eigene Wohnung gezogen. Ich weiß noch genau, wie wir am Heiligabend einen vergünstigten Kunstbaum ergatterten. Eine Bescherung gab es jedoch – wie es bei uns üblich ist – erst an Silvester. Meine Eltern liebten es, an Weihnachten durch die Straßen zu spazieren und das Spektakel der Lichterketten und glänzenden Dekorationen anzuschauen. Außerdem schauten wir uns das weihnachtliche Fernsehprogramm an, welches oft aus osteuropäischen Märchenfilmen wie Väterchen Frost besteht. Am Anfang fand ich alles aufregend. Irgendwann ließ die Freude nur zuzuschauen nach. Heute genieße ich Weihnachten in vollen Zügen. Ich feiere in diesem Jahr zum achten Mal bei der Familie meines Freundes und ich komme in den Genuss aller (vor)weihnachtlichen Freuden: Adventskalender, Nikolaus, Kekse backen – und ich liebe es, Geschenke auszusuchen. Die gesamte Atmosphäre geht für mich mit einem Fest der Wertschätzung und der Dankbarkeit einher. Zwar sollten diese an allen Tagen des Jahres präsent sein, doch bietet dieses Fest die Gelegenheit, den alltäglichen Druck abzulegen und sich bewusst Zeit für seine liebsten Menschen zu nehmen. So erhält das Fest unabhängig von Glaube oder kommerziellen Hintergründen für jeden eine ganz besondere Bedeutung.“
„Eine alte Dame hat uns den Zauber der Weihnacht näher gebracht“
Léma Wardak | studiert Jura an der CAU
„Meine Familie ist in den späten 90er Jahren aus Afghanistan nach Deutschland gezogen. Mit Weihnachten hatten sie nicht viel zu tun, dafür aber mit der einsamen alten Dame von nebenan. Ihr zuliebe haben wir unsere Adventszeit mit einer Weihnachtsgeschichte, Gedichten, Basteln und Liedersingen verbracht beim Licht zahlreicher Lichterketten. Es war „unsere Oma“, die uns den Zauber der Weihnacht näher gebracht hat. Hierfür sind wir ihr bis heute sehr dankbar. Sie weilt leider nicht mehr unter uns – aber ihr Geist ist uns in der Weihnachtszeit präsenter denn je.“
„Die Illusion vom ‚Fest der Liebe‘ habe ich schon lange verloren“
Eva Kuhn | Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Experimentelle Medizin an der CAU
„Weihnachten ist für mich jedes Jahr eine Überraschung. Seit Jahren feiere ich nicht mehr bei meiner Familie, dafür habe ich den Heiligabend schon in einer Kölner Disko oder in Argentinien unter Palmen am Pool verbracht. Für mich ist Weihnachten oft mehr Schein als Sein: Jeder folgt einem unabänderlichen Drehbuch, das jedes Jahr neu aufgeführt wird, und viel zu oft in Streit und Tränen endet. Die Illusion vom ‚Fest der Liebe‘ habe ich schon lange verloren. Weihnachten ist für mich eher wie ein langes Wochenende mit Zeit für Freunde, lange Spaziergänge und Besinnlichkeit. Die Überraschungen kommen ohne festes Drehbuch ganz von alleine.“
„Wir beschenken uns nicht“
Scheer Muradi | studiert Internationales Vertriebs- und Einkaufsingenieurwesen an der Fachhochschule Kiel
„Weihnachten bedeutet für mich, dass ich – ohne an irgendwelche unibezogenen Dinge zu denken – Zeit mit meiner gesamten Familie verbringen kann. Wir feiern als Muslime zwar Weihnachten, beschenken uns aber nicht wirklich, da wir Geschenke eher mit dem Zuckerfest verbinden. Die Kinder bekommen an Weihnachten kleinere Spielzeuge und wir Erwachsenen dürfen ordentlich essen und trinken!“
„Bei uns gibt es Gänsebraten und Rotkohl“
Beliz Böhme | studiert Englisch und Geographie an der CAU
„Für mich ist Weihnachten ein schönes Weihnachtsessen mit der ganzen Familie, weil ansonsten nicht jeder die Zeit dazu findet. Ich komme aus der Türkei, aber unser Festessen ist keineswegs türkisch – sondern vielmehr typisch deutsch. Es gibt Gänsebraten, Rotkohl und alles was dazugehört. Außerdem werden die Kleinen von uns – genau genommen von dem Weihnachtsmann – beschenkt, damit sie im Kindergarten oder in der Schule auch etwas zu erzählen haben.“
Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit mit Lena Schaefer und Madina Muhammad entstanden.