In knapp zwei Wochen ist es soweit: Karneval steht vor der Tür! Was im Rheinland großflächiges Entzücken und ein Außerkraftsetzen allgemeingültiger Verhaltensnormen auslöst, sorgt in Schleswig-Holstein zwar kaum für Aufregung, markiert für viele aber dennoch einen wichtigen Termin im Kalender. Denn nach den drei finalen Karnevalstagen Rosenmontag (12.02.), Fastnacht (13.02.) und Aschermittwoch (14.02) beginnt die traditionelle christliche Fastenzeit. Zwar steht die Religion bei den meisten Studierenden nicht allzu hoch im Kurs, doch trotzdem treibt Viele der Gedanke an Fasten und Verzicht um – besonders nach der stressigen Prüfungsphase…
Gerade im Studium hat man oft das Gefühl zum Spielball externer Verordnungen und des eigenen Studierwahns zu werden. Wir müssen uns rechtzeitig für Prüfungen anmelden, für Klausuren lernen, Hausarbeiten schreiben, dürfen unsere Freunde und Hobbies dabei aber bloß natürlich nicht vernachlässigen. In solchen Phasen des Lernens und allgemeinen „Gestresstseins“ scheint der Gedanke an einen selbstorganisierten Verzicht gar nicht so abwegig.
Die traditionelle christliche Fastenzeit zwischen Aschermittwoch und Ostersonntag war einmal als „Hommage“ an Jesus angelegt, der sich in die Wüste begab, wo er 40 Tage lang fastete, um so seinen Geist zu stärken und den Versuchungen des Teufels zu widerstehen. In Anlehnung daran wird klassisch auf jegliche tierische Produkte (außer Honig) sowie Öl und Alkohol verzichtet. Da ein so umfänglicher Verzicht gegenwärtig mitunter eine große Herausforderung darstellt, gehen die meisten Fasteninteressierten dazu über, sich eigene Fastenregeln aufzuerlegen, um unliebsame Gewohnheiten aufzubrechen und sich in Selbstdisziplin zu stärken.
Ich persönlich habe sehr gute Erfahrungen mit dem Zuckerfasten gemacht. Angefangen habe ich damit letztes Jahr zur Fastenzeit, seitdem lege ich immer mal wieder vier- bis sechswöchige Fastenintervalle ein. Während dieser Zeit verzichte ich auf jegliche Form künstlichen Zuckers (weißer Zucker, brauner Zucker, Rohrzucker, Süßungsmittel) sowie alle Arten von Sirup (Ahornsirup, Reissirup, Agavendicksaft, etc.); Obst esse ich weiterhin. Nach ein paar Tagen anfänglicher Entzugserscheinungen, gewöhnt mein Körper sich immer sehr schnell an die Umstellung und die Folgen sind enorm: Ich bin hochkonzentriert bei der Arbeit, mein Hautbild verfeinert sich und ich nehme ganz von selbst etwas ab. Das Gefühl zu widerstehen macht mich jedes Mal wieder zufrieden und ich fühle mich insgesamt fitter und wacher. Doch welche Verzichtsmöglichkeiten gibt es noch?
Besonders beliebt ist dabei der Verzicht auf Alkohol, Süßigkeiten oder Fleisch.
Wenn man mal darüber nachdenkt, wie verankert Alkohol als Stimmungsaufheller oder Trostmittel in unserem Gesellschaftsleben ist, ist das schon fast beängstigend. Ein 40-tägiger Verzicht bietet die Möglichkeit, zu hinterfragen: Habe ich wirklich gerade Lust, mich zu berauschen oder unterliege ich einer Art von Gruppenzwang? Außerdem werden Körper und Geldbeutel geschont.
Auch das Süßigkeiten- oder Zuckerfasten erfreut sich nach einem dekadenten Dezember großer Beliebtheit. Hierbei kann entweder auf ein bestimmtes „Laster“ (wie beispielsweise die heißgeliebte Schokolade) oder aber auch auf jegliche Form zugesetzten Zuckers verzichtet werden. Besonders Letzteres ist nicht nur förderlich für die Sommerfigur, sondern auch für die Konzentration und die Psyche. Denn bewiesenermaßen kann Zucker süchtig machen und im Gehirn ähnliche Reaktionen wie Heroin oder Kokain hervorrufen.
Obschon das Thema von vielen doch lieber totgeschwiegen werden würde, ist auch der Fleischverzicht ein relevanter Aspekt des Fastens. Zum einen ist er Teil des traditionellen Fastens, zum anderen resultieren aus einem hohen Fleischkonsum globale Folgen, die leider ausschließlich negativ sind: Wie eine Studie der Food and Argiculture Organization (FAO) von 2006 belegt, sind 18% der global produzierten Treibhausgasemissionen auf Tierhaltung zwecks Fleischgewinnung zurückzuführen – damit ist Fleischkonsum umweltschädlich und fördert den Klimawandel. Außerdem, so konstatiert Martin Schlatzer vom Zentrum für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit (Wien) in seinem 2010 erschienenen Werk Tierproduktion und Klimawandel, ist der Flächenbedarf für die Tierhaltung mit 78% der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche sehr groß – wesentlich größer als der Bedarf für den Anbau pflanzlicher Lebensmittel. Aus diesem hohen Platzbedarf resultiert weiterhin Übernutzung der Böden und um diese zu kompensieren wiederum Waldrodung und Landnahme. Letztlich warnt auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), vor gesundheitsschädlichen Folgen, denn der Fleischkonsum in Deutschland (wie im gesamten globalen Norden) ist fast doppelt so hoch wie empfohlen. Die Folgen könnten Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Übergewicht oder Diabetes Typ 2 sein.
Das modifizierte Fasten muss sich aber nicht ausschließlich auf Essgewohnheiten beschränken; es kann auch Handy-, Fernseh- oder Konsumfasten betrieben werden.
Da das Handy kein reiner Unterhaltungsgegenstand ist, wird es schwierig, es 40 Tage lang komplett zu verbannen. Stattdessen könnte ein handyfreier Tag pro Woche eingelegt werden (vielleicht der Sonntag?) oder das Handy täglich ab einer bestimmten Uhrzeit oder für einen bestimmten Zeitraum abgeschaltet werden. Du wirst zwar nicht mehr dauerhaft erreichbar, dafür aber auch nicht mehr permanent abgelenkt und in Alarmbereitschaft sein.
Mit dem Fernseher (bzw. heutzutage eher Netflix o.Ä.) verhält es sich da schon anders. Wie oft versacken wir vor dem Fernseher, wo wir doch nur eine einzige Folge der neuen Lieblingsserie schauen wollten, um uns von dem stressigen Unitag zu erholen? Meist ist das Geschehen auf der Mattscheibe allerdings doch zu spannend, um nach einer Folge schon wieder abzuschalten, sodass schnell mal ein paar unproduktive Stunden ins Land gehen. Versuche es einmal 40 Tage lang komplett ohne Fernsehen und stelle fest, wie viel Zeit Du plötzlich für andere Dinge hast!
Das Konsumfasten ist die Königin unter den Entsagungen des Alltags. Wie oft passiert es uns, dass wir unterwegs völlig unnötige Dinge kaufen, deren Erwerb wir postwendend bereuen? Sei es das überteuerte belegte Brötchen, wo es auch eine selbst geschmierte Stulle getan hätte oder die zwanzigste blaue Jeans, die sich eigentlich kaum von den anderen Hosen unterscheidet, die sich im Schrank bereits stapeln. Versuche einmal, 40 Tage lang nur Dinge zu konsumieren, die Du tatsächlich brauchst und die Du nicht selbst machen kannst. Denke zudem über Anschaffungen länger nach und vermeide so Konsumfallen.
Mag der Gedanke, durch Verzicht bereichert zu werden, auf den ersten Blick paradox anmuten, erscheint die Idee dahinter doch nachvollziehbar. Oftmals ist es erst bewusster Verzicht, der uns latente Süchte aufzeigt. Nimmt man sich beispielsweise vor, einen handyfreien Tag pro Woche einzulegen, merkt man erst, wie oft die Hand zum Telefon schnellt und wie viel Zeit plötzlich für andere Dinge frei wird. Neben dem Zuwachs an Zeit, Gesundheit oder auch Geld, ist auch die Kontrolle des Geistes ein wesentlicher Aspekt des Fastens. Dadurch, dass wir den unbewusst entstandenen Suchtzirkel des automatisierten Alltags durchbrechen, wird uns bewusst, in welchem Ausmaß wir von Gelüsten und Gewohnheiten bestimmt werden. Indem wir uns nach dieser Erkenntnis bewusst dagegen entscheiden, diese weiter auszuleben, generieren wir Disziplin und viel neue Energie – was letztlich sogar fürs Lernen nutzbar gemacht werden kann.
Nicht umsonst spielt das Fasten in allen Weltreligionen und Kulturen eine Rolle. Egal, was oder wann gefastet wird, im Mittelpunkt des Verzichts steht immer die Kontrolle bzw. Fokussierung des Geistes sowie der Ausbruch aus Gewohnheiten. Typischerweise dauert es vier Wochen bis alte Gewohnheiten durchbrochen und neue etabliert werden können – die festgelegte Fastenzeit zwischen Karneval und Ostern eignet sich also perfekt für ein Selbstoptimierungsprojekt!