„Und was bringt mir das?“ – Was wir von unseren Nebenjobs lernen können

Neben dem Studium zu arbeiten bedeutet für viele Studierende ein Stück mehr Unabhängigkeit. Für Andere ist es sogar nötig, um sich das Studium finanzieren zu können. Manche kellnern, manche übernehmen die unbeliebten Nachtschichten. Ich habe dreieinhalb Jahre lang im Einzelhandel gearbeitet. Doch je weiter mein Studium fortgeschritten war, desto präsenter wurde der Gedanke, dass ich meine Nebentätigkeit doch bestmöglich für den Lebenslauf nutzen sollte. Aus allen Ecken bekam ich zu hören, dass ich ja an die Zukunft denken muss. Also sollte mein Nebenjob doch im besten Fall genau in dem Bereich sein, in dem ich studiere. Alles andere „bringt mir ja gar nichts“. Aber stimmt das denn?

Dreieinhalb Jahren hat mich dieser eine Nebenjob begleitet und jetzt sitze ich hier vor meinem Laptop und tippe meine Kündigung in die Word-Datei. Mein Bachelor-Studium ist seit dem Sommer beendet und jetzt geht’s für mich erstmal ins Praktikum, in die Welt der PR. Erfahrungen in dem Bereich sammeln, auf den ich mit meinem Studium hingearbeitet habe. Ich freue mich auf diesen neuen Schritt und trotzdem kommen mir die Tränen, wenn ich realisiere, dass das bedeutet, dass ich ein Stück liebgewonnener Routine aufgeben muss.

Seit dem 2. Semester habe ich knapp 50 Stunden im Monat in einem Bekleidungsgeschäft in der Herrenabteilung Klamotten verkauft. Ich habe beraten, Verkaufsflächen dekoriert, Ware reduziert und dem einen oder anderen Kunden mit Engelsgeduld erklären müssen, warum er diese eine Hose leider wirklich nicht reklamieren kann. Ich habe all das geliebt. Für mich war dieser Job immer der perfekte Ausgleich neben dem Studium. Sobald ich mein Namensschild angeklemmt hatte, wusste ich, dass ich für die nächsten Stunden beschäftigt sein werde. Zu beschäftigt, um mir Sorgen um meine unfertige Hausarbeit oder die nächste Klausur machen zu können.

Willst du dir nicht etwas suchen, das dir was bringt?

Und doch habe ich aus verschiedenen Ecken oft dieselbe Frage zu hören bekommen: „Ach, machst du diesen Job immer noch? Willst du dir nicht etwas suchen, das dir was bringt“? Natürlich habe ich zwischendurch mehrfach selbst daran gedacht. Einige meiner Kommilitonen arbeiteten neben dem Studium schon in PR-Agenturen oder betreuten Social-Media-Kanäle für kleine Unternehmen. Das hätte mir sicher auch Spaß gemacht, aber ich hing dann doch zu sehr an meinem Nebenjob, an meiner Routine, meinen Aufgaben und natürlich an meinem Team. „Etwas machen, das mir was bringt“. Was bedeutet das schon?

Ich habe aus meinem Job im Einzelhandel so viel mitgenommen. Natürlich habe ich auch während meines Studiums oft im Team gearbeitet. Und glaubt mir, bei der Präsentationsplanung mit einer Teamgröße von sechs Personen lernt man so einiges über effektive Zusammenarbeit, verschiedene Arbeitseinstellungen und nicht zuletzt über die Beständigkeit des eigenen Nervenkostüms. Aber mein Nebenjob war noch einmal eine ganz andere Erfahrung. Im Team zu arbeiten mit Menschen, die teilweise über 20 Jahre älter als ich sind, die ganz andere Erfahrungsschätze, Ansichten oder Lebenswege haben, ist einfach etwas ganz anderes als mit gleichaltrigen Kommilitonen über die Themeneinteilung zu diskutieren. Der Austausch mit einem so diversen Team hat mich in vielen Bereichen bereichert.

Über Ausgleich, Wir-Gefühl und Selbstbewusstsein

Sicher kann man bei der Teamzusammensetzung auch Pech haben, aber ich hatte in jedem Fall Glück. Obwohl ich in meinem Team diejenige war, die die wenigsten Stunden im Monat dort war, war ich ein gleichwertiger Teil der Gruppe. Meine Arbeit wurde stets geschätzt: Einer der zentralen Gründe, warum ich an diesem Job so hing und warum mir der Abschied so unglaublich schwer fiel. Wenn ich zuhause gerade kurz davor war, an meiner Bachelorarbeit zu verzweifeln, konnte ich auf der Arbeit immer die düsteren Versagensängste ausblenden. Und selbst wenn das mit dem Ausblenden mal nicht geklappt hat, hatte ich immer jemanden zum Zuhören, der mir sagen konnte: „Wenn alle Stricke reißen, bleibst du einfach hier.“ Einen Notfallplan zu haben ist ja nie verkehrt.

Mein täglicher Austausch mit Kunden hat mir gezeigt, wie gerne ich mit Menschen interagiere. Das wusste ich im Wesentlichen auch schon vor diesem Job, aber ich durfte hier eine Menge lernen über verschiedenste Menschen mit verschiedensten Ansprüchen. Ich habe auch gelernt, mit denen umzugehen, deren Ansprüche ich scheinbar nicht erfüllen konnte. Der Umgang mit dem einen oder anderen unfreundlichen Kunden hat mir Stressbeständigkeit und Gelassenheit beigebracht.

Da ich neben dem ganzen Klamotten verkaufen natürlich auch mein Studium nicht aus den Augen verlieren durfte, musste ich lernen mich gut zu organisieren. Mein Nebenjob hat viel Struktur in meinen Alltag gebracht. Aufgaben, die bis übermorgen Zeit gehabt hätten, musste ich heute erledigen, wenn morgen eine acht Stunden Schicht anstand. Ich habe viel über Verantwortung und Verlässlichkeit gelernt, wenn ich daran denke, wie oft mein Handy klingelte und ich dann doch spontan als Vertretung eingesprungen bin, weil jemand aus dem Team ausfiel.

Mein Nebenjob hat mein Selbstbewusstsein gestärkt, weil ich hier im täglichen Austausch mit Menschen stand und immer eine direkte Rückmeldung zu meinen Leistungen bekam. Wenn Kunden mit meiner Arbeit zufrieden waren, haben sie sich bei mir bedankt und mir somit ein gutes Gefühl gegeben. Meine Kollegen haben mich als Unterstützung im Team geschätzt. Also ja, mein Nebenjob hat mir viel gebracht. Ich habe Fähigkeiten erlernt und gestärkt, die ich in meiner beruflichen Zukunft nutzen kann, auch wenn mein Plan A erst einmal nicht vorsieht, dass ich wieder Klamotten verkaufen werde.  

Warum also dieser vorwurfsvolle Unterton?

Ob ich nun neben meinem Studium kellnere, Klamotten verkaufe oder Nachtschichten schiebe, all das sind Erfahrungen und jeder von uns darf doch ganz alleine entscheiden, was uns etwas bringt. Ob es mir nun Selbstbewusstsein, neue Herausforderungen, Ausgleich oder einfach nur das nötige Kleingeld bringt, ist schließlich immer noch mir selbst überlassen. Mir hat mein Nebenjob immer in erster Linie Freude gemacht. Jetzt beginnt für mich ein neuer Abschnitt, aber ich möchte die Zeit zwischen Jeans, Anzügen und Übergangsjacken auf keinen Fall missen.

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