16.229 km trennen Kiel und Sydney und dennoch bin ich geschockt. Geschockt über den Klimawandel, der auf einmal so real wurde, geschockt über den Stillstand der Politik, geschockt über das entstandene Leid. Die Feuer in Australien waren verheerend: Menschen verloren ihr Hab und Gut, manche sogar ihr Leben, viele Tiere starben, die Umweltzerstörung ist entsetzlich. Tagtäglich erreichten uns Bilder der Katastrophe über die Medien. Inzwischen sorgten heftige Regenfälle zwar für eine Entspannung der Situation, doch hinter den Australiern liegen die schlimmsten Buschbrände ihrer Geschichte. Wie geht es eigentlich einer Australierin fern ihrer Heimat? Ich habe mit der Australierin Liv Hambrett aus Kiel über die Feuer und die deutsche und australische Medienberichterstattung gesprochen.
Liv Hambrett zog es 2010 von Sydney nach Deutschland, genauer gesagt in unser beschauliches, oft graues und verregnetes Schleswig-Holstein. Die lebenslustige Australierin ist Autorin, Bloggerin und Lehrbeauftragte. Auf ihrem Blog berichtet Liv Hambrett immer wieder über ihre Erfahrungen in ihrem neuen Zuhause, zum Beispiel über die Kieler, die an den wenigen warmen Tagen gleich „Kreislauf“ bekommen und sich niedrige Temperaturen und die gemütliche Zeit mit heißem Tee und Hausschuhen zurückwünschen. Doch die Autorin weist auch darauf hin, dass heiße schleswig-holsteinische Sommer eine Ursache haben: den Klimawandel. Die Auswirkungen des Klimawandels sind aktuell auch in Australien zu spüren.

In Australien brennen seit langer Zeit die Wälder und Buschgebiete. Liv, Du bist Australierin. Wie hast Du von den vielen Bränden erfahren?
I read Australian news sources daily and am in constant contact with family and friends back home. Thanks to social media in particular, I am able to very much stay informed about goings on in my home country. Early on, around October, I noticed my auntie had marked herself safe on Facebook, from fires around Port Macquarie (a coastal city in northern NSW). It was at that point I began following the fires and how they were being covered in Australian media, more closely.
Ich lese täglich australische Nachrichten und stehe im ständigen Kontakt mit meinen Freunden und meiner Familie. Vor allem dank Social Media kann ich mich sehr gut über das Geschehen in meinem Heimatland informieren. Ganz am Anfang, im Oktober, habe ich bei Facebook gesehen, dass sich meine Tante als “safe” vor den Buschfeuern um Port Macquarie (eine Küstenstadt im nördlichen New South Wales) herum markiert hat. Ab diesem Zeitpunkt habe ich die Meldungen über die Brände in den australischen Medien ständig verfolgt.

In Australien kommt es immer wieder zu Bränden. Doch diese Brandkatastrophe ist weitaus schlimmer als viele Feuer zuvor. War Dir von Anfang an dieses Ausmaß bewusst?
Despite the best intentions of some Australian media companies, it was very clear very early on that these fires – their size, their speed, their ferocity – was utterly unprecedented. Australia has a very long relationship with fire, there is no doubt about that, but the country has never seen anything like these fires. An environment of climate change scepticism in Australia, coupled with dangerous, irresponsible reporting from particular news outlets, meant Australians – and the world – were consistently told these fires were ‘business as usual’. They aren’t. This narrative has thankfully been dismantled and Australians have largely accepted this absolutely isn’t business as usual.
Trotz der besten Absichten einiger australischer Medienunternehmen war früh zu erkennen, dass diese Brände – ihre Größe, ihre Geschwindigkeit, ihre Wildheit – beispiellos waren. Australien und Buschfeuer haben eine lange gemeinsame Geschichte, aber so etwas hat es noch nie gegeben. Angesichts der Skepsis gegenüber dem Klimawandel in Australien und der gefährlichen, verantwortungslosen Berichterstattung von bestimmten Nachrichtensendern wurde den Australiern – und der ganzen Welt – immer wieder suggeriert, dass es sich bei diesen Bränden um „Business as usual“ handele. Aber das stimmt nicht. Diese Sichtweise wurde zum Glück demontiert und die Australier haben weitestgehend akzeptiert, dass dies absolut nicht normal ist.

Menschen verlieren ihre Häuser und manche leider ihr Leben. Viele Tiere sind in Gefahr, es heißt die Zahl der toten Tiere habe bereits die Milliarden-Grenze erreicht. Die Schäden der Feuerkatastrophe sind verheerend. Wie fühlst Du Dich, wenn Du all diese schlechten Nachrichten aus Deiner Heimat hörst?
To be honest, not a day has passed since October, in which I haven’t had a bit of a cry. To watch one’s country burn from the other side of the world is a peculiar type of pain. There have been days where I have been more worried than sad, but the sadness is all pervasive. To think of all we have lost. Other days, I am furious: furious with our Prime Minister and with a series of succeeding governments that knew the writing was on the wall with climate change, that it would provide the perfect circumstances for devastating bushfire seasons – but did nothing about it. They have blood on their hands.
Ehrlich gesagt habe ich seit Oktober jeden Tag geweint. Von der anderen Seite der Welt das eigene Land in Flammen stehend zu sehen, ist eine ganz besondere Art von Schmerz. Es gab Tage, an denen ich eher besorgt als traurig war, aber die Traurigkeit ist allgegenwärtig. Was wir alles verloren haben… An anderen Tagen bin ich wütend: wütend auf unseren Premierminister und auf eine Reihe von Regierungen, die wussten, dass der Klimawandel kommen und uns hart treffen wird, dass er die perfekten Bedingungen für verheerende Buschfeuersaisonen bietet – aber sie nichts dagegen unternommen haben. Sie haben Blut an den Händen.

Wie geht es den Australiern mit der Situation? Was berichten Dir Deine Familie und Freunde aus der Heimat?
Anger, sadness, grief. But Australians are extremely positive people and we pull together in times of need. There have been acts of tremendous kindness happening every day – huge donations to fundraisers, people offering up their houses, people rescuing animals from the bush. But Australians are also angry – there is a lot of political dissatisfaction and a rising demand for change.
Wut, Traurigkeit, Trauer. Australier sind aber äußerst positive Menschen und wir halten in Zeiten der Not zusammen. Es hat jeden Tag ungeheure Güte gegeben – riesige Spenden für Spendenaktionen, Menschen, die ihre Häuser als Notunterkünfte anbieten, Menschen, die Tiere aus dem Busch retten. Aber die Australier sind auch wütend – die politische Unzufriedenheit ist groß und die Forderungen nach Veränderung nehmen zu.

Du warst an der Fachhochschule Kiel als Lehrbeauftragte im Fachbereich Medien tätig und hast die Schwerpunkte Journalismus und Social Media gelehrt. Wie würdest Du die deutsche Berichterstattung über die Brände einschätzen?
Yes, I worked at the FH for five semesters and am now a lecturer at the University of Flensburg. I think Germany came late to the party, but then again, everyone did. The fires had been burning for months before, some time in December, global media really began thinking, ‘oh, okay, this is actually really bad.’ I noticed German papers were quick to report on the clear link between the conditions produced by climate change, and the ferocity of the fires. Such reporting put pressure on factions of Australian media, too. I would have loved for the media to have come down harder on Siemens. Here is a huge company that lies at the heart of Germany’s economic identity, and they had the opportunity to step back from a mining project in Australia – and they didn’t. That felt like a kick in the teeth – this country is making such strides in switching to renewable energy and making targets, and Siemens could have ridden the swell of climate change awareness and sent a huge message to the world. But they chickened out. There should have been more accountability for that decision.
Ja, ich habe fünf Semester an der FH gearbeitet und bin jetzt Lehrbeauftragte an der Universität Flensburg. Ich denke, Deutschland „came late to the party“, aber andererseits haben es alle getan. Die Feuer brannten seit Monaten, bevor die globalen Medien irgendwann im Dezember realisierten: „Oh, okay, das ist wirklich schlimm.“ Ich bemerkte, dass deutsche Zeitungen schnell über den klaren Zusammenhang zwischen den klimatischen Bedingungen und der unglaublichen Verheerung der Brände berichtet haben. Diese Berichterstattung setzte auch die australischen Medien unter Druck. Es wäre mir ein Herzensanliegen gewesen, wenn die Medien stärker auf Siemens eingegangen wären. Hier ist ein riesiges Unternehmen, das im Herzen der wirtschaftlichen Identität Deutschlands liegt, und sie hatten die Möglichkeit, von einem Bergbauprojekt in Australien zurückzutreten – und taten es nicht. Das fühlte sich wie ein Schlag ins Gesicht an – dieses Land macht solche Fortschritte beim Umstieg auf erneuerbare Energien und bei der Festlegung von Zielen und Siemens hätte das Bewusstsein für den Klimawandel schärfen und der Welt damit eine Botschaft senden können. Aber sie haben einen Rückzieher gemacht. Für diese Entscheidung hätten sie sich mehr verantworten müssen.

Immer wieder wird in den Medien der Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und den Bränden hergestellt. Hast Du das Gefühl, dass die Brände in den Medien instrumentalisiert werden, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen?
Absolutely. Absolutely. And thank God. It’s too little, too late – the canary in the climate change mine has been singing for decades and it has taken a continent burning and a devastating loss of life for a true global conversation to take hold. My hope is now people will be less swayed by slimy politics, less distracted by profit and convenience. Instead, they need to get angry and they need to channel that anger into action. Now there is no excuse, now we have all seen what climate change really means. It isn’t a mythical creature or something our children’s grandchildren might encounter – it is a continent on fire, countries under water, species rendered extinct overnight, fresh water and fresh air no longer a given. And it is here, right now.
Absolut. Absolut. Und Gott sei Dank. Schon jetzt ist es zu wenig, zu spät – der “Kanarienvogel in der Klimawandelmine singt seit Jahrzehnten” und es hat einen brennenden Kontinent und einen verheerenden Verlust an Leben gebraucht, bis ein echtes globales Gespräch zustande gekommen ist. Ich hoffe, dass die Leute weniger von heuchlerischer Politik, weniger von Profit und Bequemlichkeit beeinflusst werden. Stattdessen müssen sie wütend werden und diese Wut in die Tat umsetzen. Jetzt gibt es keine Entschuldigung mehr, jetzt haben wir alle gesehen, was Klimawandel wirklich bedeutet. Es ist kein Fabelwesen oder etwas, dem die Enkelkinder unserer Kinder begegnen könnten – ein Kontinent steht in Flammen, Länder stehen unter Wasser, ganze Spezies sind über Nacht ausgestorben, frisches Wasser und frische Luft sind keine Selbstverständlichkeit mehr. Der Klimawandel ist gegenwärtig, im Hier und Jetzt.

Kannst Du einen Unterschied zu den australischen Medien feststellen?
I have to be honest, I mostly followed English-language media throughout this catastrophe. I found I didn’t gain anything from reading German media, mostly because they had to spend a lot of time contextualising Australia as a country for their readership. As an Australian, I didn’t need that context. I know our indigenous people were and are brilliant with fire, I know what our bushfire season is, and what is and isn’t considered normal. I know our lack of climate policy invited the wolf to our door. Of course, your average German doesn’t, and I think German media did a good job making a country not many people know much about (beyond beaches and barbecues) more real and weren’t afraid to point the finger at our government, nor make the connection between climate change and the fires. Germany has a huge affection for Australia, and that came across too.
I read, almost exclusively, coverage by our brilliant ABC, the also excellent Guardian and the Sydney Morning Herald. Their coverage was accurate, relentless, and they were quick to fact-check and refute a lot of the fake news going around. Not one of those three news outlets is owned by Rupert Murdoch, so make of that what you will.
Ehrlich gesagt habe ich während dieser Katastrophe meistens englischsprachige Medien verfolgt. Ich habe festgestellt, dass ich durch das Lesen deutscher Medien wenig neue Informationen gewonnen habe, vor allem, weil sie viel Zeit damit verbringen, Australien als Land für ihre deutsche Leserschaft zu kontextualisieren. Als Australierin brauchte ich diesen Kontext nicht. Ich weiß, dass unsere Ureinwohner brillant mit Feuer umgehen, ich weiß, wie unsere Buschfeuersaison aussieht und was als normal gilt und was nicht. Ich weiß, dass unsere mangelhafte Klimapolitik mindestens eine Teilschuld trägt. Das weiß der durchschnittliche Deutsche nicht, und ich denke, dass die deutschen Medien gute Arbeit geleistet haben, um ein Land, über das viele Menschen wenig wissen (außer über Strände und Grillen) zugänglicher zu machen. Sie hatten auch keine Angst, mit dem Finger auf unsere Regierung zu zeigen oder den Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und den Bränden herzustellen. Deutschland hat eine große Zuneigung zu Australien und das kam auch gut rüber.
Ich habe fast ausschließlich die Berichterstattung von unserem brillanten ABC, dem ebenfalls exzellenten Guardian und dem Sydney Morning Herald verfolgt. Ihre Berichterstattung war akkurat und unerbittlich. Sie haben schnell viele der gefälschten Nachrichten überprüft und widerlegt. Keine dieser drei Nachrichtenagenturen gehört übrigens Rupert Murdoch.
Vielen Dank für das Gespräch Liv!